Mal vergeht sie langsam, mal viel zu schnell. Die Zeit ist ein Phänomen, welches uns alle jeden Tag begleitet. Zeitforscher und Psychologe Marc Wittmann erklärt, wie man sie gerade jetzt nutzt.
Ein Tag hat 24 Stunden. So viel zu den nüchternen Fakten, welche auf der gesamten Welt für jeden einzelnen Menschen gelten. Alles andere, was das Empfinden der Zeit betrifft, gestaltet sich weit komplexer und vor allem individueller. Wie wir das Gefühl für Zeit beeinflussen können und im Endeffekt mehr davon haben, verrät Zeitforscher und Psychologe Dr. Marc Wittmann im Talk
Kann das Zeitempfinden aktiv beeinflusst werden?
Auf jeden Fall. Jeder kann das Empfinden der Zeit beeinflussen. Prinzipiell muss man hier zwischen dem Zeitempfinden über einen größeren Zeitraum, beispielsweise einen Tag, und dem Zeitempfinden im Moment unterscheiden. Für einen größeren Zeitraum gilt: Erlebnisse definieren, wie lang sich ein Zeitraum anfühlt. Wenn ich etwa an einem Tag viel Neues erlebe, kommt er mir sehr lang vor. Wenn ein Tag ganz nach Routine verläuft und nicht viel Neues passiert, kommt er einem kurz vor. Das kommt daher, da das Gehirn bei Routine weniger zu tun hat. Anders verhält es sich beim Zeitempfinden im Moment. Wenn nichts zu tun ist, ich mich langweile, dann kommt mir ein Moment, eine Minute ewig lang vor. In diesen Momenten achte ich nur auf mich und die Zeit. Wenn ich jedoch im Moment abgelenkt bin, achte ich nicht auf mich und die Zeit und somit vergeht dieser Moment auch schnell.
“Jeder kann das Empfinden der Zeit beeinflussen.” – Marc Wittmann
Wie kann man sich aus Tiefenlangeweile holen, wenn diese aufkommt?
Menschen wissen meist sehr gut, was ihnen guttut, was sie gerne machen. Allerdings hat man in diesen tiefgelangweilten Momenten zu gar nichts Lust – nicht einmal zu einer einfachen Ablenkung, wie einen Film schauen. Was eine gute Möglichkeit wäre die Tiefenlangeweile zu durchbrechen. Prinzipiell gilt als „Zeittöter“ das Internet – dort kann man Stunden verbringen, welche meist wie im Flug vergehen. Aber was wirklich am besten funktioniert, um die Zeit wie im Flug vergehen zu lassen, sind soziale Kontakte. Nicht ohne Grund heißt es „Time flies by when you are having fun“. Das wurde auch mit wissenschaftlichen Experimenten bestätigt: In sozialen Situationen fühlen wir uns besser und die Zeit vergeht schneller! Wobei es nicht immer face to face Kontakte sein müssen. Das kann auch via Skype, Telefon, Mail, Soziale Medien etc. sein. Hauptsache man tauscht sich mit anderen Menschen aus!
Wie kann man Zeit gewinnen – geht das überhaupt?
Hier gilt — sowohl in der Arbeit aus auch sonst – „Do one thing at a time“. Wenn man sequenziell seine Aufträge abbaut, arbeitet man konzentrierter und besser. Wenn gleichzeitig unterschiedliche Anforderungen auf einen einprasseln, man ständig erreichbar ist und sich die Arbeitsaufträge stapeln und man versucht diese gleichzeitig zu erledigen verliert man Zeit. Besser ist es, fixe Zeiten für Aufgaben einzuplanen und diese dann nacheinander abzuarbeiten. Das kann im Home Office, wie es jetzt viele von uns ja vermehrt erlebt haben, sogar besser funktionieren. Je nachdem, wie fix man in Abläufe eingebunden ist, hat man zu Hause mehr Kontrolle über die Zeit und kann diese so planen, dass Aufgaben sequenziell erledigt werden.
“Gerade in dieser speziellen Situation lässt sich das Gefühl der Zeitlosigkeit beobachten.” – Marc Wittmann
Hat die aktuelle Krise unser Zeitempfinden verändert?
Was wir jetzt erfahren, haben wir im Kleinen vielleicht schon mal – etwa bei einem längeren Krankenstand – erfahren. Der große Unterschied ist, dass es jetzt die ganze Welt mehr oder weniger gleichzeitig erlebt und wir die Folgen und auch die Dauer nicht wirklich abschätzen können. Diese Situation wird von meinen internationalen Kollegen gerade auch wissenschaftlich erforscht. Wobei man in dieser speziellen Situation auf jeden Fall den Aspekt des „Gefühls der Zeitlosigkeit“ beobachten kann. Ob Montag oder Sonntag…aktuell macht das kaum einen Unterschied. Jeder Tag ist sonst von Routinen, Kursen, Fixpunkten gekennzeichnet. Die fallen momentan oft weg. Wobei das durchaus auch als positiv gesehen werden kann. Dieses Gefühl der Zeitlosigkeit wird etwa im Urlaub als größte Annehmlichkeit gesehen. Wenn es jemand als hinderlich, eventuell sogar als Kontrollverlust empfindet, empfiehlt es, sich selbst bestimmte Rituale ein zu führen um sich eine Struktur der Zeit aufzubauen. Wem es gefällt, der kann dieses Gefühl der Zeitlosigkeit natürlich einmal auch genießen. Wobei man natürlich immer unterscheiden muss, welche Ressourcen Personen in dieser Situation haben. Es macht einen Unterschied, ob ich als Alleinerzieherin plötzlich im Home Office bin, in einer WG lebe oder alleine. Wenn man das Glück hat, sich in einer relativen Gelassenheit der Situation stellen zu können, kann diese Zeit auf jeden Fall auch dafür genutzt werden, über sich nachzudenken. So können in diesem Ausnahmezustand essentielle Fragen wie etwa „Was will ich eigentlich?“ beantwortet werden.
Vielen Dank für das Gespräch!

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