teilen via

Nach sieben Jahren Renovierung ist die Sempergalerie in Dresden fertig gestellt. Wir laden zur virtuellen Erkundung — als Vorgeschmack auf einen reichen Kulturfrühling.

Eine Schule des Sehens“ wollte Gottfried Semper mit der Dresdner Sempergalerie errichten. Damals, im Jahr 1838, als Friedrich August II., König von Sachsen, eine Kommission damit beauftragte, einen zeitgemäßen, modernen Museumsbau zu errichten. Hauptsächlich für die Werke seiner Vorfahren, welche der sächsische Kurfürst und spätere polnische König August der Starke (1670 – 1733) und dessen Sohn August III. (1696 – 1763) zusammengetragen hatten. Gottfried Semper entwarf ein Neorenaissancegebäude, das sich dennoch harmonisch in den berühmten Rokoko-Zwingerbau einfügt, an den es gebaut wurde: eine langgestreckte Galerie mit mittiger Kuppel. Hunderte Sandsteinskulpturen aus unterschiedlichen Epochen zieren die Außenfassade. Die Sempergalerie galt bei der Eröffnung 1854 als das am reichsten verzierte Gebäude der Welt. Im Erdgeschoß des Galeriegebäudes richtete der Architekt einen lichtdurchfluteten Saal ein. Dort wurde in den frühen Jahren antike Bildhauerkunst präsentiert. Aus gutem Grund: Diese Skulpturen waren wichtige Vorbilder für viele Gemälde der Renaissance und des Barock, das sollten die Besucher selbst eindrücklich erfahren. 

Die hier befindlichen Kopien – es waren Gipsabgüsse des Dresdner Oberhofmalers Anton Raphael Mengs – waren allerdings nur wenige Jahre zu sehen. Erst jetzt, nach über 130 Jahren, ist die Bildhauerkunst wieder in die Sempergalerie zurückgekehrt. Im Antikensaal“, so heißt der helle Erdgeschoßraum heute, kann man nun sogar Originale bewundern. Hier stehen jetzt nämlich Objekte aus der Skulpturensammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) mit Werken bis ins Jahr 1800. August der Starke begründete die antike Sammlung ab 1723, als er zwei römische Kollektionen der Adelsfamilien Chigi und Alberti erwarb und sie nach Dresden brachte. Bis es so weit war, die prachtvollen, neu erleuchteten, technisch modernisierten und lebendig angereicherten Räumlichkeiten der Sempergalerie wiederzueröffnen, lag eine Zeit des Darbens hinter dem Museum. 2013 begann die Sanierung des Ostflügels, es folgte der Westflügel. Lange Zeit konnte deshalb nur ein Teil der über 700 Bilder aus der Dauerausstellung gezeigt werden. Eine entbehrungsreiche Zeit also, denn von Beginn an beherbergte die Sempergalerie eine der wichtigsten deutschen Altmeistersammlungen. Im Februar eröffnete man endlich mit einem Festakt, und es offenbart sich auf den ersten Blick: Die umfassende, rund 50 Millionen Euro teure Sanierung hat sich gelohnt.

Madonna Superstar

Das Herzstück der Sempergalerie ist der große Raffael“, wie August III. einst freudig ausrief, als seine Bestellung im Jahr 1754 endlich in Dresden einlangte und Teil seiner Sammlung wurde. Die Sixtinische Madonna“, eines der berühmtesten Gemälde der italienischen Renaissance, angefertigt 1512/13 von Raffael im Auftrag von Papst Julius II., wurde Mitte des 18. Jahrhunderts von August III. gekauft. Das war kein einfaches Unterfangen – die Verhandlungen mit den Verkäufern, den Mönchen der Klosterkirche San Sisto in Piacenza, sollen rund zwei Jahre gedauert haben. Der Architekt Gottfried Semper konzipierte rund 100 Jahre später seine Galerie quasi um dieses Bild herum – es ist bis heute das goldene Zentrum der Ausstellung. Aber auch die drei Herkulanerinnen“ stammen aus dem Besitz von August III. Das sind drei 1711 in der antiken italienischen Stadt Herculaneum ausgegrabene lebensgroße Frauenskulpturen aus dem ersten Jahrhundert nach Christi Geburt. Jetzt, mit der Neueröffnung der Galerie, sind erstmals ­alle vier Frauen in einem Haus vereint – wenn auch die göttliche Sixtinische Madonna“ ein Stockwerk höher steht. Die Herkulanerinnen“ beherrschen dafür den Antikensaal.

Regie aus Österreich

Ausgedacht hat sich solche Details der Österreicher Stephan Koja. Seit 2016 ist er Museumsdirektor der Sempergalerie – genauer gesagt, der Gemäldegalerie Alte Meister und Skulpturensammlung bis 1800. Wegen des Umbaus hatte er die einzigartige Gelegenheit, die Bestände von Grund auf neu zu arrangieren. Beim Alten geblieben ist nicht viel, aber alles ist wiedererkennbar. Die niederländische Abteilung ist nun in grünem Wandbehang gehalten, die italienische ganz in Rot. Tiefblau dagegen geben sich die spanische und die französische Abteilung. Vier spätbarocke Büsten im antiken Stil stehen nun in der Tribuna, begrüßen die Besucher und verweisen auf die schon erwähnte, einst vergessene Bildhauerkunst in der Sammlung. 

In der neuen Ausstellung kommunizieren Skulpturen mit Gemälden, Schüler mit Lehrern – alles wirkt lebendiger, dynamischer, ein großes Miteinander alter Kunst soll es sein. Im relativ dunklen Skulpturengang wird es beinahe etwas zu lebendig: Manche der ins Licht gesetzten Kleinbronzen der Renaissance scheinen sich dem Betrachter zuzuwenden. Mit der Reiterfigur des Marc Aurel, geschaffen vom italienischen Bildhauer Filarete Mitte des 15. Jahrhunderts, steht hier die älteste erhaltene Kleinbronze der Renaissance. Aber auch in die Gemäldesäle hat Stephan Koja Skulpturen hingesetzt, wo es passt. In der Renaissance und im Barock war das Miteinander der Gattungen gang und gäbe, daran orientiert sich auch Koja. Neben Rembrandts Ganymed“ ist der Kopf eines Weinenden Kindes“ von Hendrik de Keyser um 1600 ausgestellt, vor Rubens’ -„Satyr und Tigerin“ die antike Skulptur von Silen, einem Mischwesen aus Mensch und Pferd aus der griechischen Mythologie. Stephan Koja möchte nicht nur das Alte als Wurzel des Neuen präsentieren. Es geht ihm auch um die entgegengesetzte Richtung: Hier ist der Blick von außen‘, von der späteren Kunst zurück auf die ältere – und vice versa – gefordert. Denn auch die Entwicklung der Moderne ist ohne Bezug auf die Alten Meister undenkbar.“ Genauso undenkbar wie eine Sempergalerie ohne Besucher. Ein Bild, welches sich hoffentlich bald ändert.

Ich trat in dieses Heiligtum und meine Verwunderung überstieg jeden Begriff, den ich mir gemacht hatte!“ Johann Wolfgang von Goethe

Elb-Beauty kompakt

Die Sempergalerie wurde zwischen 1847 und 1854 nach Plänen Gottfried Sempers errichtet – ein prächtiger Museumsbau im Stil der italienischen Hochrenaissance. Seit der Wiedereröffnung im Februar 2020 befindet sich hier zum ersten Mal die Gemäldegalerie Alte Meister gemeinsam mit der Skulpturensammlung bis 1800. Direktor ist seit 2016 der Österreicher Stephan Koja. Die Galerie ist Teil des Dresdner Zwingerkomplexes, eines der bedeutendsten Bauwerke des Barock, wurde jedoch erst rund 100 Jahre später erbaut und bricht radikal mit dem früheren Baustil. 

Berühmtestes Gemälde der Sempergalerie ist die Sixtinische Madonna. In der Dauerausstellung werden über 700 Werke präsentiert. Darüber hinaus besitzt die Galerie mehr als 3.000 Gemälde europäischer Kunst des 15. bis 18. Jahrhunderts. Seit der Wiedereröffnung sind auch Hunderte Skulpturen sowie aufwendig restaurierte Gemälde aus dem Depot wieder in der Ausstellung zu sehen. Schon Johann Wolfgang von Goethe bewunderte die Sammlung, damals noch in einem anderen Gebäude. Überliefert ist sein Ausspruch von 1768: Ich trat in dieses Heiligtum und meine Verwunderung überstieg jeden Begriff, den ich mir gemacht hatte!“

Näher Informationen unter gemaeldegalerie​.skd​.museum