Das Auge isst mit: Wie Rooftop Locations von Sydney bis Wien im wahrsten Wortsinn unseren Blick weiten. Eine kunstvolle Reise rund um die Welt.
Zwei Aufforderungen, die einander zu widersprechen scheinen: „Immer mal über den eigenen Tellerrand hinaus schauen“ und „Das Auge isst mit“. Und doch – aus der Kombination alter Sinnsprüche entsteht mitunter sogar neue Sinnlichkeit. Zumindest in jenen Hotels rund um die Welt, die den neuen Trend nicht verschlafen haben: Von oben sieht man besser. Ergo nicht nur auf den Teller (oder ins Weinglas) schauen, sondern die Augen genießerisch schweifen lassen. Wenn nämlich, wie einst von den Pariser Studenten im Mai 1968 gerufen, unter dem Pflaster der Strand liegt, dann befindet sich unterhalb der Bar sogleich die ganze Stadt, ein lebendiges Panoramabild. Tatsächlich entdecken deshalb immer mehr urbane Luxushotels den Zauber von Rooftop Suites und Dachterrassenbars, anstatt ihre Gäste nur hinter Glasfrontfassaden zu verwöhnen.
Da schau her!
Schauen wir deshalb ins Corinthia Hotel in London. Gelegen am legendären Whitehall Place – und damit mitten im Regierungsviertel und in Fußentfernung auch zu Downing Street Nr. 10 – strahlt das Haus bereits architektonisch die elegante Gediegenheit eines Empires aus, das immer noch zu existieren scheint. Doch was die formidable Gestimmtheit sogar noch toppt, ist eben jene Dachterrasse, die Einmaliges bietet. Ein Frühstücksei mit Blick auf die viktorianische Türmchenwelt, hinter der sich auf der einen Seite Trafalgar Square und die National Gallery, auf der anderen dagegen Big Ben und Westminster Abbey befinden? Und dann am späten Abend: Die City – als wär’s ein kubistisches Gemälde von Feininger – eine einzige funkelnde Hochhaus-Vertikale. Ein Glas Gin oder Sherry oder Whisky in der Hand und sogleich die zauberhafte Anmutung, man schwebe gleichsam hinüber zur Waterloo und Westminster Bridge, und auch Europas größtes Riesenrad, das 135 Meter hohe „London Eye“, sei quasi mit den Händen zu greifen. Wenn man’s zuvor jedoch einen kleinen Tick rationaler möchte: Auf einem Teil der Terrasse befindet sich ein veritables Schachfeld mit metergroßen Figuren, die der Denkanstrengung unterm freien Londoner Himmel dann sogar noch einen taktilen Reiz verleihen.
Alpen-Panorama inklusive
Wer es dagegen ein weniger gemütlicher möchte, ist im Schweizerhof Hotel & Spa richtig. Keine Sorge, Berns Rooftop Bar Nummer eins glänzt nicht in rustikalem Chic, sondern mit herrlichem Ausblick auf die Stadt und die Schweizer Alpen. Das Interieur ist unaufdringlich modern, die Karte bietet neben erfrischenden Cocktails saisonale und traditionelle Schweizer Gerichte. Tipp für den Winter: Fondue und Heißgetränk stilsicher auf der Dachterrasse genießen.
Spektakulär wird es am anderen Ende der Welt. Das Hotel Palisade in Sydney beherbergt das Henry Deane, das auf zwei Stockwerken einen einzigartigen Ausblick auf den Hafen der pulsierenden Metropole bietet. Ob Lunch oder Dinner, die moderne Cocktail Lounge ist definitiv die richtige Wahl für einen Sightseeing-Stopp Down Under. Wobei hier das Sightseeing bequem nebenbei erfolgt. Während man genüsslich an einem Cocktail nippt, taucht man ganz entspannt ein in den Sound von Sydney – in mehrfachem Sinn eine Horizonterweiterung. Gerade der Panoramablick schärft die Sinne für eine ganz neue Wahrnehmung der Wunder unserer Welt.
Top of Town
Den Sounds noch näher ist man freilich in New York – und zwar im Le Bain, das schon jetzt im doppelten Sinn die Topadresse in der Stadt ist – sozusagen ein auf die Höhe der Zeit (und ans Nachtlicht) gehobenes Studio 54, lebendige Reminiszenz an jene einstige Nightlife-Legende. Vorbei jedenfalls die Jahre fensterlosen Feierns – hier auf dem Dach des Standard High Line Hotels im einst verruchten Meatpacking District im Nordwesten von Manhattan in unmittelbarer Nähe des Hudson River. River Deep, Mountain High! Und hinter der verglasten, vom Boden bis zur Decke reichenden Fensterfront die Stadt, New York. Als wären die guten Seventies wiederauferstanden, drehen sich über dem Dancefloor glitzernde Discokugeln, tanzt eine vor allem jüngere urban Crowd in gechillter Stimmung zu den gerade angesagten Soundlines von Jazz-Groove und Co.
Doch auch was den Namen betrifft, hält der Ort all seine Versprechen, denn selbstverständlich gibt es hier ein Bain, will heißen einen veritablen gekachelten Pool, in dem man/frau (natürlich nur in Badebekleidung) sich – fast – ganz nach Lust tummeln darf. Natürlich – und weshalb es verschweigen – fordert solches Vergnügen am visuellen und akustischen Highend New Yorks auch einen gewissen Preis. Der sich allerdings nicht in Dollar bemisst, denn der Eintritt ins „Le Bain“ ist frei. Wohl aber wird auf eine gewisse kultivierte bis schräge Hipness Wert gelegt, und gegen die Entscheidung der Door Police ist Einspruch zwar möglich, aber kaum (wie die Modevokabel heißt) „wirklich zielführend“. (Geheimtipp: Besonders unvergesslich der entspannte Tea-Dance am späten Sonntagnachmittag, wenn sich das letzte goldene Tageslicht über die Stadt legt und die fashionablen Besucher des nahegelegenen Whitney Museums nun selbst zu einer Art Kunstinstallation werden.)
Charme lebt hoch
So wie Le Bain nicht als irgendein x‑beliebiger Club firmiert, sondern als „Penthouse Discothéque“ (und zwar geschrieben mit just diesem Accent aigu und dem „que“), so verweigert sich die wohl schönste Wiener Rooftop Bar dem unmelodischen Bäh eines Ä‑Umlautes und nennt sich deshalb mit eigensinnigem Charme „Atmosphere“. Selbige stellt sich zwar gewiss wie von selbst ein über den Kupferdächern der Stadt, doch erfährt sie hier – hoch oben im Ritz-Carlton Hotel – sogar noch eine Steigerung. Seegras und Kakteen, aus modernen Korbsesseln ein Blick hinüber zum Stadtpark, zur Karlskirche, zur Staatsoper oder zur Hofburg (oder hinunter zum Beethoven-Denkmal) und dazu Drinks – von heimischem und internationalem Wein bis zum kundig gemixten Cocktail bietet die Karte alles. Die leichten kleinen Speisen, ökologisch und saisonal frisch zubereitet, firmieren dagegen nicht grundlos unter dem Label „Southern/Beach Food“. Denn obwohl das Hotel, in dessen achtem Stock man hier derart genießen kann, am Schubertring liegt, ist die hier oben gespielte Musik ein lässiger Groove. Ein Sonnenschirm-Hauch von Lido, San Francisco oder Copacabana, aber leicht – ganz leicht – nie auftrumpfend, nie forciert.
Von solch dezentem Charme ist dann vor allem auch das Sonnendeck mit separatem Zugang, weiß bespannten Liegen, Butler-Service und inkludiertem Champagner: Vienna Calling, doch auch hier kein Misston weit und breit. Es muss also gar nicht erst „über den Wolken“ sein, deren grenzenlose Freiheit einst Reinhard Mey besang – eine Fahrt mit dem Lift reicht zumeist schon, um eine elegante Auszeit zu nehmen. Sofern man jedenfalls die Orte kennt, die wir hier vorgestellt haben – mit immensem Vergnügen.

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