Wie innovative Architektur berühmten Weingütern zusätzlichen Reiz (ein)schenkt. Eine kleine Tour du Monde.
Was für eine Ironie der Geschichte: Ausgerechnet der Wein, von dem wir doch seit der so klugen wie sinnenfrohen Antike wissen, dass sein Genuss die Seele weitet, sollte lediglich in beengten Kellern und Stuben genossen werden? Kein Zufall indessen, dass in der Toskana und damit in einer der ältesten Kulturlandschaften der Menschheit der gute epikureische Geist eines wirklichen, umfassenden Genießens wiederentdeckt wird. Hier nämlich sind im Lauf der letzten Jahre einige inzwischen hochberühmte Design-Kellereien entstanden, die sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen haben, das – ein Novum im ansonsten eher sprachpuristischen Italien – sogar einen englischen Namen trägt: Toscana Wine Architecture. Das wohl schönste Gut befindet sich im idyllischen Dörfchen Bargino, 15 Kilometer südlich von Florenz und 45 Kilometer nördlich von Siena.
Ein sakraler Ort der Stille, ein Tempel antiker Riten der Rebe und gleichzeitig hochmoderne Produktionsanlage.” – Architekte Marco Casamonti
Supertoskaner
Marchese Piero Antinori, dessen altehrwürdige Familie seit dem 14. Jahrhundert in der Gegend ansässig ist, hat hier mit dem Weingut Antinori bereits Architekturgeschichte geschrieben. Kommen Besucher aus aller Welt doch nicht nur hierher, um sich im Weinbergrestaurant den von ihm kreierten Tignanello, den sogenannten „Supertoskaner“, munden zu lassen, sondern auch um auf geführten Touren die Kellerei zu entdecken. Diese nämlich zieht sich als artifizieller Hügel quer durch den Weinberg und geht gleichzeitig meterweit in die Tiefe, wo sie sich in eine unterirdische Landschaft verzweigt, in der es gleichwohl taghell blitzt und blinkt.
Eine quasi futuristische Rampe für Abhol- und Zulieferfahrzeuge gehört hier ebenso dazu wie ein Gärkeller und ein Barriquekeller, dessen Decke mit Terracottaziegeln ausgekleidet ist – und zwar in der gleichen rötlichbrauen Farbe, mit der die obere Außenhaut des Wunderbauwerks bedeckt ist. Aus dem Erdinnern, wo die Weinherstellung zu bewundern ist – in den Worten des Architekten Marco Casamonti „ein sakraler Ort der Stille, ein Tempel antiker Riten der Rebe und gleichzeitig hochmoderne Produktionsanlage“ –, geht es per Wendeltreppe hinauf zu einer Aussichtsterrasse, wo wiederum die nahen lindgrünen Hügel der Toskana alle Sinne streicheln. Darauf einen weiteren hiesigen Wein, dessen Name wie eine anmutige Zeile aus Boccaccios Decamerone klingt: Chianti Classico Riserva Marchesi Antinori.
Spektakulär ultramodern
Tatsächlich sind in solchem „Weindesign“-Verbindungslinien zu entdecken, die sich um die ganze Welt ziehen – bis nach Chile. Dort findet sich nämlich im Millahue-Tal eine veritable Hommage an Frank Gehry, erdacht und ausgeführt vom renommierten chilenischen Architekten Smiljan Radic. Das spektakuläre ultramoderne Weinberghotel Vina Vik besitzt ein titanbeschichtetes Dach, unter dem Glas- und Betonwände alternieren, während die breiten Fensterfronten atemberaubende Blicke freigeben auf die südchilenische Landschaft.
Das Weinberghotel Vina Vik präsentiert sich als Hommage an Frank Gehry.
Jedes der luxuriösen Zimmer schenkt eine solche Panoramaansicht, flankiert von Objekten einheimischer und internationaler Künstler. Dank der ebenso konturierten wie geschmeidigen Architektur vermeinen die Gäste hier zu schweben – am frühen Morgen, wenn sich die ersten Sonnenstrahlen über die Hügelkämme des Weingutes wagen, ebenso wie an den Abenden, wenn alles in ein sanftes Azur getaucht ist, als sende das Meer einen freundlichen Gruß. Passend dazu ein Dinner mit frisch gefangenem chilenischem Aal, hausgebackenem Brot aus ökologischem Anbau und einer inspirierenden Melange aus den Weinen Villa Cala und Vik, die von hier längst ihren Siegeszug in die weite Welt angetreten haben.
Demokratisch prosten
Luxus-Capricen, über die der deutsche Gourmetkoch Franz Keller freilich nur leise lächeln kann: Denn so berühmt er auch ist als preisgekrönter Gastronom und unbestrittener Meister badisch-französischer Küche – nicht nur in seinen zu Bestsellern gewordenen Büchern legt er darauf Wert, umfassende Genusserlebnisse gut demokratisch zu teilen. Seine Basis dafür sind die von mildem Sonnenlicht gesprenkelten Rebstöcke am Kaiserstuhl, wo es bereits zu römischen Zeiten Weinanbau gab, dazu das „Winzerhaus Rebstock“, dessen regionale Spitzenküche der Gault & Millau in den höchsten Tönen preist und natürlich der längst legendäre „Schwarze Adler“, in dem schon Kellers Mutter gekocht und einen Michelin-Stern erhalten hatte.
Ein Gesamtkunstwerk, das man tatsächlich im Ganzen genießen sollte (hier durchaus mit einem Glas hiesigen Grau- oder Spätburgunder in der Hand), da auf einer Besichtigungstour immer wieder mit Überraschendem zu rechnen ist. Denn sind da in der beinahe asiatisch anmutenden sattgrünen Terrassenlandschaft etwa drei Ufos gelandet? Aber nein, wo es sich doch hier um die „KellerWirtschaft“ handelt, eine einzigartige Verbindung aus Traubenverarbeitung, Keller, Vinothek und Restaurant. Drei stufenförmig in den Weinberg integrierte Bauwunder, die gleichzeitig an transparente Bungalows erinnern und deren Dachflächen zu Wiesen geworden sind.
Glasklarer Blickfang
Da doch außerdem gilt: Gutes Design lädt sogar dann zu Höhenflügen ein, wenn seine Grundstruktur eher erdschwer scheint. Denn wie filigran mutet die Architektur im Weingut des Schweizers Thomas Schmidheiny an, der den größten zusammenhängenden Weinberg am Zürichsee zu einer Art Freilichtmuseum gemacht hat! Der Blick geht auf die Kempratener Bucht und die Innerschweizer Alpen, hakt sich jedoch immer wieder fest an der Fassade des Gutes. Dabei bestehen die Rebstöcken nachempfundenen Formen aus Beton, sind jedoch den Wänden vorgelagert, was ihnen Transparenz und Perspektive verleiht.
Auch im Weinkeller hat der Kunstmäzen Schmidheiny das Material sympathisch umformen lassen: Ein „Beton-Ei“ statt eines herkömmliches Fasses lässt den Wein quasi atmen und trägt zu einer noch besseren harmonischen Reifung bei. Doch Obacht, ist derlei doch alles andere als pure Suggestion. Ob im fast schon sakralen Inneren flanierend oder dann wieder hinaustretend ins Sonnenlicht in der schicksalsgesegneten Landschaft: Wer den formidablen Blauburgunder genießt oder sich an einem Spitzen-Zweigelt delektiert, bekommt eine wundersame Ahnung davon, wie Form und Aroma, Gestaltung und Gehalt einander tatsächlich durchdringen.
Wie filigran mutet die Architektur im Weingut des Schweizers Thomas Schmidheiny an.
Orion im Landeanflug
Zum Abschluss unserer kleinen Tour ein Abstecher zum burgenländischen Weingut Gesellmann in Deutschkreutz! Hier hat Albert Gesellmann neben dem Anbau internationaler Rotweinsorten sein Augenmerk nun vor allem auf den Blaufränkischen gelegt. Namen inzwischen längst hochgerühmter Weine, die wie sein Opus eximium klingen, als wären sie aus Zeit und Raum zu uns gekommen, um zu munden. Dazu sind der Keller und der Degustationsraum der Winzerfamilie auf bezirzende Weise neu gestaltet: die Decke aus Holzbalken, in deren Zwischenräumen Neonröhren liegen. Das schafft eine Anmutung von „Raumpatrouille Orion“ und die schöne Vorstellung, Orion-Kommandant Dietmar Schönherr käme hier ganz lässig vorbei, um mit einem Glas eines der exzellenten hiesigen Roten auf die Innovationsfreude der Gesellmanns anzustoßen. Vielleicht besteht ja gerade darin das Geheimnis solch ästhetisch-kulinarischer Verbindungen: Nicht allein der Wein weitet die Seele, sondern auch eine Raumgestaltung, in der sich zuvor Unerwartetes oder gar unmöglich Scheinendes materialisiert – ein wahres Fest für Augen und Gaumen.
ZUM WOHL!
Sämtliche Designweingüter sind zu besichtigen, ihre Produkte auch online zu bestellen. Alle Informationen dazu finden sich auf den jeweiligen Websites.
Italien: antinori.it
Chile: vikwine.com
Deutschland: franz-keller.de
Schweiz: schmidheiny.ch
Österreich: gesellmann.at

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