In Zürich, London, Paris oder Wien gilt: Art goes Kulinarik – und umgekehrt. Ein Spaziergang mit Kunsterlebnis.
Bekanntlich gilt: Das Auge isst mit. Besser fein drapiert als üppig gehäuft sollten also die Speisen auf den Tellern sein – und das Ambiente der Restaurants am besten ebenfalls ein ästhetisch bezirzender Hingucker. Weshalb aber scheinen dann selbst in so manchem Gourmetrestaurant die Wandbilder wie aus dem Katalog bestellt, lieblos karg Gerahmtes, das höchstens ein paar Striche oder durchbrochene Farbflächen zeigt, epigonal Abstraktes quasi von der Stange
Zürcher Vielerlei
Also auf nach Zürich, zu den alten, jung gebliebenen Meistern! Denn das, was hier im renommierten Restaurant „Kronenhalle“ entlang der edel-dunklen Holzverkleidung der Wände zu bewundern ist, hat mit Sicherheit nichts Austauschbares. Und ist dazu auch noch überraschend. Denn wäre zur gediegenen Schweizer Küche, die dort am Bellevue serviert wird – traditionelles Rösti und Zürcher Geschnetzeltes, Steaks und gar Bratwurst – nicht etwas ebenso Rustikales zu erwarten gewesen? Vielleicht Schweizer Berglandschaften im Goldrahmen? Stattdessen: Picasso, Chagall, Kokoschka und Miró. Feininger, Kandinsky, Toulouse-Lautrec und Henri Matisse. Dabei sind wir hier keineswegs in der nahe gelegenen Zürcher Kunsthalle, sondern weiterhin in einem Restaurant – freilich in einem, das bereits ab 1924 zum Treffpunkt der (schweiztypisch eher wohlhabenden) Bohéme wurde. In jenem Jahr haben Hilda und Gottlieb Zumsteg die „Kronenhalle“ übernommen. Freilich schien schon Mitte der dreißiger Jahre die Kontinuität in Gefahr – anstatt unter den gestrengen Blicken der Eltern das gastronomische Geschäft zu erlernen, zog es den Filius Gustav erst einmal nach Paris, wo er alsbald als Seidenhändler reüssierte. 1957 hat Gustav Zumsteg aber dann doch noch die „Kronenhalle“ übernommen – nicht zuletzt mit dem Ziel, ein stadtbekanntes Lokal zu einer internationalen Adresse zu machen; und zwar mittels der Kunst, die er inzwischen gesammelt hatte.
Bevor er 2005 im hohen Alter von 89 Jahren starb, hatte Gustav Zumsteg noch testamentarisch festgelegt, dass keines der im Restaurant hängenden Bilder veräußert werden dürfe. Schon gar nicht jene Lithografie des Minotaurus, einst höchstspersönlich gezeichnet von Friedrich Dürrenmatt. Und, so geht zumindest das Gerücht, ein Grund für leisen Neid bei dem nicht minder berühmten Schriftstellerkollegen Max Frisch, der freilich kein Maler, sowie bei Günter Grass, der wohl eher ein wackerer Illustrator war. Sie alle aber – nicht zu vergessen Andy Warhol und Golda Meir – speisten unter den Gemälden der Moderne in der „Kronenhalle“. Ein Ort, der seine inspirierende Aura bis heute bewahrt hat – und das ist ganz bestimmt kein Gerücht.
Londoner Schwebereien
Dominieren in Zürich freilich eher konservative Sitzmöbel mit Messingknöpfen auf olivgrünem Leder und weiß gestärkte Leinendecken auf den Tischen, so wagt das Londoner Restaurant „The Sketch“ den täglichen Sprung zum quietschbunt-knalligen Gesamtkunstwerk. Und zwar im wahrsten Wortsinn, da das Haus in der Conduit Street im noblen Viertel Mayfair bereits von außen alle gewohnten Perspektiven lustvoll in Frage stellt. So befindet sich an der flauschig weißgrau gestrichenen Ziegelsteinfassade von Haus Nr. 9 die gleichfarbige Skulptur eines Hundes, jedoch kopfunter und alle vier Beine an der Wand. Gestaltet hat sie der angesagte Künstler Simon Brundret, der danach mit ähnlich überraschenden Hunde-Installationen für Furore sorgte. Also rasch hinein ins 2003 eröffnete „Sketch“, dessen an der Loire geborener Chef Pierre Gagnaire bereits drei Michelin-Sterne für seine innovative „New French“-Küche einheimsen konnte. Vor allem aber hat hier der nicht minder berühmte Innenarchitekt Noé Duchaufour-Lawrance seinem illuster klingenden Namen alle Ehre gemacht und die ursprünglich eher steifen Upper-Class-Räumlichkeiten dieses aus dem 18. Jahrhundert stammenden Gebäudes auf zwei Etagen in eine Art kulinarisch flankierten Kunst-Space transformiert. Denn in der Tat: Wir sitzen zu Tisch und heben gleichzeitig ab, obwohl doch die Möbel entlang der Längs- und Querwände fest auf dem Marmorboden ruhen und auch in der Mitte des Saals alles an seinem richtigen Platz zu sein scheint. Die Farbe aber macht’s, das Bonbon-Pink der Lederbänke suggeriert ein Schweben ins All der Kinderträume. Auch die ebenso pinkfarbenen Halbrundsessel haben es trotz oder gerade wegen ihres goldglänzenden Kreissockels in sich: Raumkapsel oder sanfte Palisade aus vertikal angeordneten Biskuits – doch kann das jeder für sich selbst entscheiden, der hier von neun Uhr morgens bis spätabends frühstücken, lunchen oder dinieren möchte. Gestaltet hat dieses Wunderwerk die 1962 als Tochter einer ägyptisch-englischen Mutter und eines persischen Vaters in Teheran geborene India Mahdavi, die mittlerweile als Stardesignerin in Paris lebt. Es ist übrigens als Foto eines der weltweit am meisten Angeklickten auf Instagram. Doch wie passt all dies zur feinaromatisch-reduzierten Nouvelle Cuisine française, die in „The Sketch“ serviert wird? Tipp: Einfach schauen und genießen.
Pariser Plaisir
Jetzt aber erst einmal zurück über den Kanal nach Frankreich, da uns ja auch dort ein wenig Suspens erhalten bleibt. Durchquerte doch 1978 im Film „Moonraker“ ein gewisser Roger Moore alias Agent 007 jenes Wunderwerk aus Rohren und Röhren, Beton und großflächigen Glasfronten, das im Jahr zuvor nach Plänen des Stararchitekten Renzo Piano Gestalt angenommen hatte. Seither ist das Centre Pompidou eines der Highlights von Paris, aus dessen Museumslandschaft es nach wie vor futuristisch heraussticht. Die Brasserie Georges, gelegen im Obergeschoß des Centre und überdies mit einer zauberhaften Außenterrasse versehen, definiert Highlight noch dazu als unschlagbaren Panoramablick, da man von hier Notre Dame, den Invalidendom und den Eiffelturm wie eine Postkarte betrachten kann. Was für ein Fest für die Augen, hier drinnen oder auch draußen auf der Terrasse, um der untergehenden Sonne oder dem aufsteigenden Mond Grüße zuzurufen, ein Glas Champagner oder Beaujolais in der Hand! Und was schließlich das Kulinarische betrifft: Erdbeerensuppe mit geeisten Tomaten oder Wolfsbarsch-Carpaccio überraschen den Gaumen mit wundersamen Aromen, doch darf, bien sûr, auch das Traditionellere nicht fehlen – Foie gras oder Croque Monsieur, je nach Plaisir.
Wiener Saloneskes
Währenddessen findet sich im Menü des „Salonplafond“ ein Croque Madame mit köstlichen hausgemachten Erdäpfel-Brioches. Das berühmte Haus, zu dem das Restaurant gehört, ist das Museum für Angewandte Kunst am Stubenring im ersten Wiener Bezirk. Seit 1871 ist es der Ort für Kunsthandwerk und Design. Kein Zufall also, wenn auch der „Salonplafond“ diesen dezenten Sinn für Kontinuität besitzt: Ein anheimelnder Speisesaal mit Kassettendecke und Ledersesseln, der wie eine gelungene Mischung aus gemütlichem Wiener Wirtshaus und mondänem Ballsaal wirkt. Die beiden Küchenchefs Michael Erfurt und Philipp Sieler kreieren hier Köstlichkeiten, die frisch und „bio“, doch weder karg noch „als ob“ sind: die Selleriesuppe ebenso wie das Backhendl oder der gebratene österreichische Wels. Kulinarik braucht auch im kunstvollen Rahmen keineswegs abgehoben zu sein, sondern wird von diesem im besten Fall sogar inspiriert. Lässt sich doch über die spannenden Ausstellungsobjekte im Museum am besten bei einem guten Glas Veltiner oder Traminer sinnieren.

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