Mit Neugier und Vorfreude erwartet: Wie reagiert die 59. Biennale von Venedig auf die Herausforderungen unserer Zeit? Mit einer gewaltigen und vielstimmigen Ode an die Fantasie.
“The Milk of Dreams“ prangt in großen Lettern über der Hauptausstellung der Biennale sowohl im Arsenale als auch in den Giardini. Ein kluger Ansatz, denn diesem poetischen Titel, einem Kinderbuch der surrealistischen Künstlerin Leonora Carrington entlehnt, folgen auch viele Länderpavillons mit Leidenschaft – sich wegzuträumen in andere Welten und Erscheinungsformen scheint in schwierigen Zeiten ein willkommener Weg zu sein. Wohin kann sich der Mensch entwickeln, welche Existenz ist möglich, wenn rundherum alles in Auflösung begriffen ist? Führen uns Krisen und Kriege zu einer Zeitenwende? Wird der Mensch zum Cyborg, zum optimierten Mitglied einer technisierten und digitalen Gesellschaft – oder findet er zurück zu seinem Naturdasein? In einer Zeit, da kleinste Lebewesen, Viren und Bakterien, das große Ganze völlig durcheinanderbringen, scheinen letztgültige Antworten obsolet zu sein. Aber die Kunst ist ja vor allem dazu da, Fragen zu stellen, Möglichkeiten zu zeigen, die Kraft der Imagination zu befeuern. Wir begegnen auf der Biennale humanoiden Hightech-Geschöpfen ebenso wie Mischwesen aus Mensch und Pflanze oder Mensch und Tier – am atemberaubendsten wohl im dänischen Pavillon, wo Uffe Isolotto moderne Zentauren an der Welt verzweifeln lässt, aber durch eine Geburtsszene auch die Hoffnung am Leben erhält.
Surreale Sensationen
Viel Wundersames, Eigenartiges, Verstörendes ist zu sehen. Surreale organische Formen, riesige Köpfe und Masken, furchterregende Menschenmaschinen, aber auch archaische Wesen und Botschaften aus fernen exotischen Welten. Das Einbeziehen ferner Kulturen, der Fokus auf Asien, Afrika und Lateinamerika, ermöglicht neue Sichtweisen und ist wohl einer der Vorzüge dieser Biennale. Zwei Drittel der KünstlerInnen sind zum ersten Mal in Venedig zu sehen. Und 80 Prozent der gezeigten Arbeiten stammen von weiblichen Künstlern. Ein deutliches Statement. Dennoch wird man hoffentlich anmerken dürfen, dass die Diversität zuweilen über die Qualität gestellt wird, manches bleibt fragwürdig und wirkt zum Teil beliebig. Der deutsche Pavillon etwa thematisiert nichts anderes als die eigene Geschichte von der ursprünglichen Struktur bis zur Erweiterung 1938 durch Freilegen von Bauteilen und teilweises Abschlagen des Verputzes – der Besucher bleibt eher ratlos zurück. Ähnliches erlebt man auch im spanischen Pavillon, wo eine Hinterfragung der Architektur durch Verschiebungen der Raumstrukturen stattfindet – Kunst als Selbstzweck. Starke Zeichen hingegen setzen die USA mit den eindrucksvollen Monumentalskulpturen von Simone Leigh, die auf den starken afrikanischen Anteil amerikanischer Kultur verweisen. Und die Briten, die mit Sonia Boyce erstmals von einer schwarzen Künstlerin vertreten werden.
Ukraine im Fokus
Natürlich spiegelt sich auch die aktuelle politische Situation. Russlands Pavillon ist geschlossen, der Kurator und die Künstlerinnen fanden deutliche Worte gegen den Krieg und haben ihre Teilnahme abgesagt. Dafür gab es großes Interesse an der Präsentation der Ukraine. Pavlo Makov geht aber nicht vordergründig auf die Kriegssituation ein, sondern präsentiert eine Installation, die vielfältig interpretierbar ist: eine Wasserquelle, die sich auf unzählige Trichter verteilt. Einerseits lässt sich daraus lesen, dass alles auf der Welt miteinander zusammenhängt, andererseits, dass Ressourcen begrenzt sind und die Bedrohung des Planeten weit über die derzeitigen zerstörerischen Auseinandersetzungen hinausreicht. Es geht um die Erschöpfung der Erde und der Menschheit.
Österreich fällt in der Länderpräsentation durchaus positiv auf. Das queere Künstlerduo Jakob Lena Klebl und Ashley Hans Scheirl führt die BesucherInnen in die bunte Welt der 70er-Jahre, die zugleich eine Zeit der sozialen Umbrüche, der sexuellen Revolution und der aufkommenden Umweltschutzbewegungen war. Es ist keine reine Nostalgie-Show, sondern eine Aufforderung zum Nachdenken, wie wir heute mit den Idealen von damals umgehen. Und apropos Zeitlosigkeit: Eine der schlichtesten, aber eindrücklichsten Arbeiten sieht man im belgischen Pavillon. Wohl auch aufgrund der problematischen Vergangenheit des Landes als Kolonialmacht zeigt Francis Alÿs Kinder aus aller Welt – und vor allem aus Afrika – in Filmprojektionen beim Spielen, bei unterschiedlichen, aber doch weltweit ähnlichen Formen der Interaktion und des kreativen Zeitvertreibs. Einfach spielende, scherzende, lachende, aufgeweckte Kinder: ein schönes Bild der Hoffnung.

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