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Der Biologe Ronald Thenius revolutioniert gerade die ­Unterwasserforschung – mit biohybriden Robotern. Wie das funktioniert, verrät er im Talk.


Ronald Thenius’ Mitarbeiter tauchen gern mal ab. Berufsbedingt, versteht sich. Der Biologe am Artificial Lab an der Universität Graz und Leiter des EU-Projekts Robocoenosis hat biohybride Roboter geschaffen, die Gewässer erforschen. Und zwar auf ganz besondere ­Weise: Diese kleinen Roboter arbeiten mit ­Muscheln, Krebsen und Algen zusammen und schicken regelmäßig Informa­tionen an die Oberfläche. Eine neu­ar­tige Methode, die wissenschaftlich gerade im Trend liegt und ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Wie man damit die ­Artenvielfalt steigern, die Wasserqualität verbessern und sogar dem ­Klimawandel entgegenwirken kann, ­erklärt der Steirer im Science Talk. 

Dr. Thenius, was hat sich heute bei Ihren biohybriden Robotern unter Wasser so getan?Prinzipiell muss ich sagen, dass ich als Projektkoordinator fungiere. Sprich, mei­ne Mitarbeiter haben im Blick, was sich unter Wasser tut. Ich werde nur ­informiert, wenn sich gerade was besonders Spannendes ereignet hat. Wenn etwa Muscheln beginnen, sich außergewöhnlich zu verhalten. Oder wenn Flöhe plötzlich rot werden oder im Kreis schwimmen. Das passiert nur, wenn sie Stress haben. 

Genau diese Zusammenarbeit mit Lebewesen macht biohybride Roboter so einzigartig. Wie darf man sich das vorstellen?
Vereinfacht gesagt machen sich biohy­bride Roboter die Eigenschaft bestimmter Lebewesen zunutze, sie verwenden sie als Sensoren. Sie klinken sich ins Ökosystem ein, beobachten Lebewesen und werten deren Verhalten als Sensor für bestimmte Parameter wie Sauerstoff- und Salzgehalt, Lichtverhältnisse etc. Ich messe also nicht etwa den Sauerstoffgehalt in einem Gewässer und rechne dann retour, was das für das Ökosystem bedeutet, sondern beobachte sensible Wasserbewohner und leite davon Daten zum Sauerstoffgehalt ab. 

Was sagt uns das, wenn Flöhe auf einmal rot oder Muscheln verhaltensauffällig werden?
Das kann bedeuten, dass die Wasser­güte nicht in Ordnung ist. Das sind für uns Indikatoren, genauer hinzusehen. Aus Laborsituationen wissen wir, dass derartiges Verhalten auf Stress, schlechte Wasserqualität, unzureichende Sauerstoffversorgung etc. zurückzuführen ist. Im Freiland sieht das alles natürlich anders aus. Da kann auch einfach ein Tier in der Nähe die Flöhe stressen, oder manchmal haben Muscheln auch einfach schlechte Laune und schließen sich. Man muss also genau hinsehen – wenn alle Lebewesen Alarm schlagen, dürfte es ein allgemeines Problem geben. Wenn nur einzelne Lebewesen sich außergewöhnlich verhalten, kann es auch nur eine Laune sein.

Teamwork? Wie bringt man Muscheln und Co. dazu, mit einem Roboter zusammenzuarbeiten?
Natürlich müssen sich die ­Lebewesen wohlfühlen. Schließlich soll die Zusam­menarbeit ja für ein bis fünf Jahre funktionieren. Man muss daher etwa die Muscheln ganz vorsichtig auf dem Roboter befestigen und auch so positionieren, dass sie sich nicht gestresst fühlen. Es muss so natürlich wie möglich ablaufen. Das ist eines unserer wichtigsten Credos. Sonst funktioniert die Messung ja auch nicht, weil ich sonst den Stress vom Versuch und nicht den aus der Umwelt messe.

Die Arbeit am Artificial Life Lab hat manchmal ­etwas von Science-­Fiction – wir haben die Möglichkeit, ­fantastische Ideen zu realisieren. “ Ronald Thenius

Wie kamen Sie auf die Idee, mit natürlichen Sensoren zu arbeiten?
Das hat sich bei einem Projekt in Vene­dig am Istituto delle Scienze ­Marine (ISMAR) durch Zufall ergeben. Wir ­haben dort seinerzeit in der Lagune mit Robotern Wasseruntersuchungen gemacht, hatten jedoch zu der Zeit gewisse Probleme mit den Sauerstoffsensoren der Roboter, was uns alle ziemlich frustriert hat. Ein Kollege meinte dann lapidar, dass ich für die Messung des Sauerstoffgehalts doch einfach nur auf die Muscheln achten muss. Die zeigen mir ja deutlich mit ihrem Verhalten, ob genügend Sauerstoff vorhanden ist oder nicht. Für mich war das ein Aha-Moment. Ich habe sofort einen Roboter mit einer Kamera versehen und zu den Muscheln abtauchen lassen. Und es hat funktioniert. Das war der Beginn einer Idee, die sich mittlerweile zu einem wunderbaren Projekt entwickelt hat, das auch von der EU gefördert wird. Wir haben die Freiheit, Methoden aus­zuprobieren und Grundlagenforschung zu betreiben. Unser Ziel ist, aufzuzeigen, was mit biohybriden Robotern möglich ist.

Was heißt das genau? Welche Vorteile bieten sie gegenüber herkömmlichen Forschungsrobotern?
Unsere biohybriden Roboter sind mittlerweile an unterschiedlichen Standorten in Österreich stationiert – am Grund des Millstätter, Hallstätter und Neusiedler Sees. Dort leisten sie sehr gute Arbeit. Sie arbeiten autonom und kostengünstig. Während sonst ein Mitarbeiter einen Roboter unter Wasser bringen, ihn regelmäßig warten, kalibrieren müsste etc., läuft das System des biohybriden Roboters eigenständig und energieeffizient. Wir arbeiten momentan auch daran, dass die Energieversorgung durch Mikroorganismen im Schlamm, die ganz kleine Mengen Strom erzeugen, sogenannte Micro­bial Fuel Cells“, funktioniert. Das ist eine Methode, die auch in anderen ­Bereichen, wo etwa kein Licht, aber Wasser vorhanden ist, sehr interessant sein könnte. Wenn sie funktioniert – und danach sieht es gerade aus. 

Und wie verlässlich sind die Daten, die Ihre biohybriden Roboter liefern?
Natürlich haben die Daten, die unsere biologischen Sensoren wie Muscheln oder Algen liefern, eine andere Qualität als herkömmliche Methoden. Damit muss man umgehen. Wenn jetzt eine Muschel an einem Tag unglücklich“ ist, hat das wenig Aussagekraft. Wenn das über ein Jahr so bleibt, ist es ein eindeutiger Hinweis. Daher lohnt es sich auf jeden Fall, diese Kombination von Lebewesen als Sensor und autonomer Freilandrobotik in unterschiedlichen Forschungsfeldern einzusetzen. Und auch für die Industrie, beispielsweise im Bereich Agrarwasser, könnten sie hilfreich sein.

Welchen Beitrag leisten Ihre biohybriden Forscher zum Schutz unserer Umwelt?
Einen sehr großen! Gewässer sind ein guter Indikator, um etwa zu zeigen, wie sich Artenvielfalt, Wasserqualität und auch Klimaerwärmung entwickeln. Unsere Systeme liefern dazu eindeutige Daten, auf die man frühzeitig rea­gieren kann. Gerade an so sensiblen ­Systemen wie etwa dem Neusiedlersee sieht man, dass der Klimawandelprozess voll im Gang ist. Das ist offensichtlich und ­unleugbar. Das zeigt sich ganz plakativ auch daran, dass etwa Arten, die eigent­lich in mediterranen Gefilden heimisch sind, mittlerweile hier leben. Mit unseren Methoden können wir wertvolle Ergebnisse liefern, die frühzeitig Veränderungen in Gewässern ­anzeigen. Und im Idealfall zu einem Umdenken anregen – zu einer Balance von Wirtschaft und Umwelt.

Seen sind ein wichtiger Faktor für den heimischen Tourismus. Ist es hier einfacher, Verbündete für den Umweltschutz zu finden?
Gerade was die Seen betrifft, achten die Touristiker sehr genau darauf, dass die Wasserqualität erhalten bleibt. Das war nicht immer so. Vor einigen Jahrzehnten hatten die Kärntner Seen ein Abwasserproblem, das wurde aber seinerzeit sehr gut gelöst, und heute haben sie Trinkwasserqualität. 

Gilt Ihr nachhaltiger Zugang auch für die Konstruktion der Roboter?
Auf jeden Fall! Jeder Biologe am ­Artifi­cial Life Lab an der Uni Graz ist ­gleichzeitig auch technisch versiert, kann löten, einen Roboter bauen und programmie­ren. Wir arbeiten da intensiv mit Technikern zusammen – die bringen unser biologisches Wissen dann meist noch besser technisch in Form, während sie von uns tiefe Einblicke in die Lösungsansätze der Natur bekommen. Die inter­disziplinäre Zusam­menarbeit ist jedoch ganz wesentlich, das biologische Verständnis. Das reicht bei uns bis zur Auswahl der Materialien. Die sind zu einem großen Teil nachhaltig.

Gewässer sind ein guter Indikator, um etwa zu zeigen, wie sich Artenvielfalt, Wasserqualität und auch Klimaerwärmung entwickeln.” Ronald Thenius

Roboter nachhaltig konstruieren? Wie funktioniert das?
Ziel des gesamten Projekts ist es ja, Möglichkeiten und Methoden zu testen. Grundlagenforschung zu betreiben, um zu sehen, was wirklich möglich ist. Das gilt auch für den Bau der Roboter. Für den fixen technischen Teil braucht man natürlich vorgegebene Materialien. Für das Drumherum – etwa die Gewichte oder die Halterungen für die Muscheln – kann man durchaus mit abbaubaren, natürlichen Materialien arbeiten. Holz und Stein kommen beispielsweise hier zum Einsatz. Die können einfach entsorgt werden, sobald der Roboter nach ein paar Jahren seinen Dienst ­getan hat. 

Was ist Ihr persönlicher Antrieb als Forscher?
Ich wollte schon als Kind Biologe werden und bin im Burgenland mit Kescher und Lupe am Bach unterwegs gewesen. Plan B war Raumschiffpilot – das habe ich dann im Alter von sieben Jahren verworfen. Wobei die Arbeit am Arti­ficial Life Lab auch manchmal etwas von Science-Fiction hat – wir haben die Möglichkeit, fantastische Ideen zu realisieren. Wie eben auch Roboter, die mit Muscheln und Co. zusammenarbeiten und dabei mit Schlamm gefüttert werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Thenius Bio

Dr. Ronald Thenius ist Biologe am Artificial Life Lab an der Universität Graz und Leiter des EU-Projekts Robocoenosis. Seine Passion gilt dabei der Entwicklung biohybrider Roboter, die am Grund des Millstätter, Hallstätter und Neusiedler Sees forschen. Ihre Ergebnisse zu Wasserqualität, Artenvielfalt etc. leisten einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Umwelt. Dr. Thenius ist mit dieser Methode europäischer Trendsetter. Am internationalen Einsatz seiner biohybriden Roboter auch in Salzwasser wird gearbeitet. Wesentlicher Erfolgsfaktor ‑seiner Arbeit ist die Vernetzung mit unterschiedlichen Fachbereichen, die an der Uni Graz mit der Initiative Colibri ermöglicht wird. uni​-graz​.at

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22.Dezember.2020 New Oona Horx Strathern c Klaus Vyhnalek

Blick in die Zukunft

Der Fortschritt klopft an, und wir machen nicht auf? Oona Horx-Strathern, CEO des Zukunftsinstituts Horx, analysiert, wie Corona das Leben verändert und warum Gemeinsinn manchmal smarter ist als Künstliche Intelligenz.

Corona hat dafür gesorgt, dass das Zuhause wieder einen wichtigeren Stellenwert in unserem Leben hat. Hält sich diese Aufwertung der eigenen vier Wände auch in Zukunft?
Unser Zuhause ist manchmal wie eine Tante, die man eigentlich immer schon anrufen wollte, aber man lässt es doch sein, weil man weiß, dass sie kompliziert ist und jammern wird. Wenn man abends von der Arbeit nach Hause kam und die Wände, den Teppich, die Möbel registrierte, dachte man: Eigentlich müsste ich mal etwas verändern. Aber man ließ es, weil es zu anstrengend erschien. Das änderte die Krise radikal. Nachdem die Menschen fast nur noch zu Hause waren, begannen sie sich auf eine neue Weise mit ihrer häuslichen Umgebung auseinanderzusetzen – und zu identifizieren. Es hat sich etwas verändert in der Beziehung zu unseren Wohnungen und Häusern. Wir nehmen unsere häusliche Umgebung anders wahr. Wir wohnen bewusster – und das wird noch eine Weile halten, vielleicht sogar für immer. 

Die Technik ist ein ganz entscheidender Faktor in dieser Hinsicht. Sie ermöglicht es uns, auch für längere Zeit das Haus nicht verlassen zu müssen. Wohin wird dieser Trend noch führen?
Wir werden in Zukunft vielleicht mehr zu Hause arbeiten und dafür die Technik aufrüsten, beispielsweise eine Zoom-Ecke aufbauen. Aber abgesehen davon haben wir gemerkt, dass es weniger das Smart Home“ war, das uns gefehlt hat, sondern eher der soziale Kontakt. Technik ist nur ein Tool. Wichtiger ist die soziale Technik, und die Krise hat uns gezwungen, unsere soziale Umgebung neu zu definieren, zu überdenken und zu bewerten. Balkone und Shared Spaces“, in denen wir bestimmte Dienstleistungen auch im Lockdown in Anspruch nehmen konnten, waren wichtiger als eine App, die uns abends automatisch die Vorhänge zumacht.

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16.November.2023 Copenhagen_Alchemist2

Copenhagen Inside

Kopenhagen gilt seit langem als Pionier in Sachen Stadtplanung und Nachhaltigkeit und ist von 2023 bis 2026 UNESCO-Welthauptstadt der Architektur. Und es ist auch eine Stadt, die von gutem Design wie besessen ist. Christian Martinez lebt und arbeitet als Designjournalist in Kopenhagen und verrät uns exklusiv seine Insidertipps.

Dänen sind designbesessen. Ich meine das größtenteils im Guten. Es kann natürlich verrückt erscheinen, 4.000 Euro für einen Stuhl auszugeben, aber wenn es sich bei diesem Stuhl um den Spanish Chair“ handelt, der 1958 von Børge Mogensen entworfen wurde und als meisterhafter Beitrag zum modernen Design gilt, sorgt er nicht nur für eine starke Präsenz im Raum. Er macht Sinn . Es ist ein Stuhl aus massiver Eiche mit erstklassigem Sattelleder, der mit zunehmendem Alter immer schöner wird – und mich wahrscheinlich überdauert, ohne es überhaupt zu versuchen. Vielleicht sind 4.000 Euro für so einen Stuhl doch gar nicht so verrückt. Vielleicht ist es ein Berufsrisiko, nachdem ich über ein Jahrzehnt lang über Design geschrieben habe. Was ich jedoch weiß, ist, dass nur wenige Städte auf der Welt Design so in ihrer DNA haben wie Kopenhagen. Wenn ich aus dem Ausland nach Hause komme, werde ich gleich daran erinnert, wenn ich das Flugzeug verlasse und den Terminal betrete. Allerdings ist es nicht immer eine gute Sache. Diese dänische Besessenheit hat einen Preis, der 4.000 Euro wie Kleingeld erscheinen lässt. Zum Beispiel, als die Stadt kürzlich einem prestigeträchtigen Bau eines neuen Fahrrad-Sharing- Programms den Stecker zog , das den dänischen Steuerzahler satte 13 Millionen Euro kostete. Aber ich schweife ab. Am besten man erkundet den Designfaktor der Stadt mit tollem Design selbst. Hier meine Insider-Route. 

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