Wir lassen uns das Reise-Träumen nicht verbieten: wunderschöne europäische Citytrips. Schon mal zum Vormerken für die Zeit nach Corona.
Ein Eiffelturm für mich allein? Das hat nichts mit Social Distancing zu tun, zumindest nicht in Lyon. Die Geschichte des Gastronomen Monsieur Gay ist älter und rein privater Natur. Der Mann gönnte sich im Jahr 1894 seinen Tour métallique de Fourvière, angelehnt an das Design des dritten Stockwerks des Pariser Eiffelturms, und ließ diese kleinere Kopie auf dem Hügel Fourvière errichten. Irgendwie ist die Geschichte des Petite Tour Eiffel typisch für Lyon. Denn wenngleich die Metropolregion Lyon Frankreichs zweitgrößte Stadt ist, so bleibt sie zugleich gut überschaubar – um nicht zu sagen intim.
“Ein Eiffelturm für mich allein? Das hat nichts mit Social Distancing zu tun, zumindest nicht in Lyon. ”
Der Platz neben Lyons Eiffelturm, die Terrasse vor der Basilika Notre-Dame de Fourvière, ist kein schlechter Ort, um das zu sehen. Hier werden einem die Renaissancedächer der Altstadt Vieux Lyon und die schmale Halbinsel zwischen den Flüssen Saône und Rhône wie auf dem Sightseeing-Tablett serviert. Perfekt für entspannte Herbstspaziergänge ist Lyon auch dort. Innenhöfe wie jener des Musée des Beaux-Arts haben dann das Rouge der späten Laubfärbung angelegt. Ein schattiger Kreuzgang rahmt den angenehm stillen Hof. Von den Parkbänken kann man Skulpturen des berühmten Auguste Rodins bewundern. Da wäre ferner jener Künstler, der das Modell der New Yorker Freiheitsstatue schuf und auch Lyon einen kleinen Hingucker beschert. Es sind die dynamischen Pferde des Brunnens an der Place des Terraux, an der man wohl des Öfteren vorbeikommt. Man quert sie, während man das barocke Rathaus bewundert oder zur Oper hinüber spaziert. Keine fünf Minuten von hier liegt die ganz anders geartete Place Sathonay. Eine Stück Miniatur-Frankreich wie aus dem Bilderbuch: Anrainer spielen am sandigen Boden Pétanque. Kinder laufen um die Wette. Pensionisten rascheln mit „Le Monde“.
Der Bauch Frankreichs
Der erste Grund, Lyon einen Besuch abzustatten, hat aber mit ganz anderen Spezialitäten zu tun. Denn die Heimatstadt des berühmten Paul Bocuse ist ein kulinarisches Reiseziel der Sonderklasse. 19 Michelin-Sterne-Restaurants zeugen davon – für eine Stadt dieser Größe ist das einzigartig. Wer will, kann hier in herzhaft-einfachen Bouchons saisonale Hausmannskost genießen. Lokale wie die 1913 im Art nouveau eingerichtete „Brasserie des Brotteaux“ verraten wiederum: Lyon isst auch jenseits des Tellerrandes mit dem Auge. Die viel später entstandene Bistronomique-Welle beschert Lyon indessen Bistro-Kulinarik gehobenen Anspruchs. Der obligate Spaziergang durch die Gourmetmarkthalle „Les Halles de Lyon Paul Bocuse“ schlägt in dieselbe Kerbe: Lyon, der kulinarische Nabel Frankreichs, liegt irgendwo im Schlaraffenland.
Das hat mit der Äquidistanz zu zwei Meeren und den Alpen zu tun und mit einer satten Umgebung, die für frische Zutaten sorgt – darunter Geflügel und Gemüse, die in ganz Frankreich bekannt sind. Die Geschichte der alten Seidenweberstadt gleicht aber auch einem Patchwork kreativer Ideen. Ein gewisser Joseph-Marie Jacquard erfand in seiner Heimatstadt 1805 den lochkartengesteuerten Webstuhl und revolutionierte so das uralte Handwerk. Hier forschte André-Marie Ampère und erträumte Antoine de Saint-Exupéry „Der Kleine Prinz“. An der Rue du Premier Film kann man das Wohnhaus und die ersten filmischen Arbeiten der Brüder Lumiére bewundern – der Erfinder des Films.
Essenzielles Lyon
Schlafen: MOB Hotel of the People, 55 quai Rambaud. Das innovative Boutiquehotel des Mama-Shelter-Mitbegründers Cyril Aouizerate ist eine Kombination aus Co-Working-Zone, Gemüsegarten, Petanque-Platz, Sommer-Open-Air-Kino und viel frischer Luft. mobhotel.com
Essen: Monsieur P, 14 rue Royale. Florent Poulard steht für seine moderne Interpretation Lyonnaiser Gerichte. Man reserviert besser im Voraus. monsieurp.fr
Shopping: Village des Créateurs, Passage Thiaffait (19 rue René Leynaud). Die Organisation unterstützt kreative Start-ups: Keramiker, Modeschöpfer, Designer etc. villagedescreateurs.com
Torino-Tour
Auf halbem Weg zwischen Alpen und Mittelmeer. Berühmt für eine angestammte Cross-over-Cuisine. All das gilt auch für die alte Königsresidenz Italiens, die später Pilgerort einer Motoristi-Fangemeinde war. Genau: Die Rede ist von Turin, der ewigen Grande Dame im Schatten des Stil-Mekkas Mailand, Homebase des Königshauses Savoyen. Und die Rede ist außerdem vom berühmten Turiner Kalb-Thunfisch-Gericht „vitello tonnato“, das der Patron der kleinen Locanda del Sorriso soeben fast andächtig serviert, mit Knoblauchzehe, gut eingelegten Sardellen und einem Schuss Sherry in der Thunfisch-Mayonnaise – unter anderem.
“Die Rede ist von Turin, der ewigen Grande Dame im Schatten des Stil-Mekkas Mailand, Homebase des Königshauses Savoyen.”
Die berühmte Vorspeise ist typisch für die alten Handelswege zwischen ligurischer Küste und den Alpen, jenem Flirt von Meer und Berg, von dem auch das piemontesische Nationalgericht „bagna cauda“ erzählt – eine heiße Sauce aus Anchovis, Knoblauch und Öl, in die man frisches Gemüse tunkt. Gleich ums Eck, erzählt der Patron weiter, haben sich Kfz-Werkstätten in Hinterhofdestillerien verwandelt – nun entstehen im Szeneviertel San Salvaro Kultgetränke wie „Vermouth Anselmo“. Turin ist Feinschmeckeradresse und das umliegende Piemont Wiege der Slow-Food-Bewegung. Das legt winterliche Trüffelsafaris nahe, aber auch eine besondere Klarheit, die man Turin zunächst gar nicht zugetraut hätte.
Dabei reicht schon ein kurzer Spaziergang durch die Grünlunge Parco del Valentino entlang des türkisgrünen Po, der sich hier noch von seiner frischen Seite zeigt und die Kühle der nahen Berge verströmt. Bei guter Fernsicht ist die weiße Kruste des Dolomitenschnees gut zu sehen, besonders vom Wahrzeichen Mole Antonelliana, einem Turmbau, der eigentlich als Synagoge geplant war – bis das letzte Geld ausging. Irgendwann wurde der Bau dennoch fertig und überragte als höchstes begehbares Gebäude Europas sogar den wenige Jahre früher fertiggestellten Kölner Dom.
Kaffee-Kapitale
King Size City ist Turin ohnehin. Das verrät auch die Parade der schicken Schlachtrösser-Rüstungen in der riesigen Waffenkammer der Königsresidenz der Savoyer. Vor allem klappern die Kaffeetassen. Denn Turin gilt als geheime Caffè-Hauptstadt Italiens: 1839 hatte die Stadt erst 120.000 Einwohner, aber bereits 98 Kaffeehäuser. Mehr zum Thema verrät ein Spaziergang unter den Arkadengängen der zentralen Piazza San Carlo.
Traditionshäuser wie das Caffè Torino servieren hier zum Cappuccino die selbst gemachten Nougatpralinen „gianduiotti“, ein paar Schritte weiter liegt das bereits 1822 gegründete Caffè San Carlo, einst Italiens erstes Lokal mit Gasbeleuchtung. Schönere Oasen für verregnete winterliche Tage sind nur schwer vorstellbar. Wetterfest überdacht ist übrigens auch der berühmteste Vorstadtweg der einstigen Industriestadt. Er führt über die spiralförmige Auffahrtsrampe der historischen Fiat-Werke an der Via Nizza, die 1983 stillgelegt wurden. Jetzt lädt der glatte Betonkreisel zu Galerien und einem kleinen, feinen Kunstmuseum der Fiat-Familie – der Pinacoteca Giovanni e Marella Agnelli.
Tolles Turin
Schlafen: Grand Hotel Sitea, Via Carlo Alberto 35. 5‑Sterne-Luxus und Michelin-Stern-Restaurant hinter der Piazza San Carlo. grandhotelsitea.it
Essen: L’Acino, Via San Domenico 2/A. Charmant geführte kleine Trattoria mit typisch piemontesischen Gerichten. Desserttipp: Haselnusskuchen mit Zabaione. Rechtzeitig reservieren! lacinorestaurant.eatbu.com
Shopping: Eataly Torino, Via Nizza 230. Das Turiner Gourmetkaufhaus Eataly ist das größte der Welt und zugleich eine Art kulinarisches Best of Italy. eataly.net
Web: turismotorino.org, enit.at
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