Er war das „Enfant terrible“ der Wiener Werkstätte: Statt auf Reduktion setzte Dagobert Peche auf eine Explosion der Formensprachen. Jetzt richtet das MAK dem „Pop-Künstler“ eine Großausstellung aus. Ein Gespräch mit Kuratorin Anne-Katrin Rossberg.
Was ist denn Pop an Peche?
Peche knallt. Das ist das Poppige an ihm. Er war für eine Explosion der Formensprachen innerhalb der Wiener Werkstätte verantwortlich. So hatte man das zuvor noch nie gesehen. In dieser Hinsicht war er ein Revolutionär.
Was „knallt“ bei seinen Werken?
Zum Beispiel die fantastischen Farbstellungen bei den Stoffen oder den Tapeten. Oder motivisch: Blumenbouquets leuchten aus dunklem Untergrund. Also geradezu flashig. Aber es ist mehr: Peche ist bei allem Aufsehen, das er erregte, durchaus subtil und auch verquer. Es ist bei Peche nie eine Gerade, immer schräg, er positioniert nie etwas in der Mitte, immer versetzt. Vom Kunstgewerbe erwartete man sich funktionale Gebrauchsgegenstände. Doch das interessierte Peche nicht. Er entwickelte eine ganz eigene Welt, in der es weniger darum ging, dass die Dinge auch funktionierten.
Weil das Dekor ganz im Vordergrund stand.
Genau, Dekor, künstlerische Gestaltung, Experiment. Er hat zum Beispiel nie ein Besteck entworfen, das wäre zu utilitaristisch gewesen. Natürlich kann man seine Vasen oder Schalen auch als Vasen oder Schalen benutzen. Viele Gegenstände nennt er aber selbst Ziergegenstände. Sie können daher auch als Skulpturen gesehen werden, zum Beispiel seine Tischaufsätze.
Damit steht er gegen den Funktionalismus der Zeit. 1908 veröffentlichte Adolf Loos etwa seine Schrift „Ornament und Verbrechen“. Hat sich Peche als Gegenspieler gesehen?
Die Wiener Werkstätte stand nie ausschließlich für Funktionalismus, auch Josef Hoffmann nicht. Dessen strenge, stereometrische Formen wurden auch oft als unbrauchbar kritisiert. Als Peche 1915 in die Wiener Werkstätte eintritt, bringt er seine Vorliebe für die Natur mit. Da gab es nichts, das nicht in ein Blütenmeer oder einen Blätterwald verwandelt wurde. Sein Lebensthema war die Metamorphose, sein Leitmotiv die mythologische Figur der Daphne, die in einen Lorbeerbaum verwandelt wird. Selbst seine Tochter wollte er nach Daphne benennen.
Peche liebte nicht nur die kleine, sondern auch die große Bühne. Er stattete mehrere Theaterstücke aus.
Da war er in seinem Metier, auch wenn leider wenig erhalten geblieben ist. Auch die Ausstellungsarchitektur liebte er. 1915 stattete er etwa die große Modeausstellung im heutigen MAK aus. Er verwandelte die Säulenhalle komplett, die Mittelhalle war ein riesiger, mit duftigem Tüll gestalteter Raum, die niedrigen Umgänge dagegen schwarz-weiß. Peche war ein Meister der Inszenierung.
Er war mehr Künstler als Kunsthandwerker. War das für die Wiener Werkstätte nicht ein Problem?
Hoffmann hat Peche in die Wiener Werkstätte geholt und stand hinter ihm. Er selbst liebte das Verspielte und Naive. Selbst Loos, der die Wiener Werkstätte hart attackiert hat, nahm zwar Hoffmann ins Visier, aber nie Peche. Für ihn war Peche ein „großes Kind“, er sah in ihm einen Künstler, der sich ins Kunstgewerbe verirrt hat.
Ist Peches verspielte Ästhetik auch ein Ausdruck seines Charakters?
Sein Biograf beschreibt ihn als „herzensfrischen Spitzbub“, gleichzeitig war er kränklich und ein Grantler. Er wuchs im Lungau auf, war fasziniert von Prozessionen und Umzügen. Er nahm sich vom Klassizismus oder vom Rokoko jene Elemente, die ihn interessieren, macht aber etwas komplett anderes daraus. Bei Peche ist alles im Fluss und ephemer. Keramik schaut bei ihm aus wie Papier, Möbel haben etwas Stoffliches.
Viele Jahre später sollte die Postmoderne ähnlich arbeiten. Allerdings immer mit einem Augenzwinkern.
Auch die Postmoderne löste Dinge von ihrer Funktion und versuchte die Betrachter oder Benutzer emotional anzusprechen. Ironie ist Peche im Unterschied zur Postmoderne aber fremd, wenngleich nicht ein gewisser Witz. Einer Vase verpasste er etwa Füße, so dass man glauben könnte, sie laufe gleich weg.
Selbst Kunstinteressierten ist der Name Peche oft nicht geläufig. Warum ist er ins Abseits geraten?
Peche irritiert, ist schwer einordbar und zugänglich. Jemand wie Hoffmann macht es der Kunstgeschichte einfacher, dieser entwickelte eine neue Formensprache, nahm den Bauhaus-Stil vorweg. Der zweite Jugendstil, den Peche initiierte, war dagegen nicht avantgardistisch genug, er war etwas aus der Welt. Die Subtilität, das Schräge, das Dunkle wurden nicht wahrgenommen. Mit dem Aufkommen der Postmoderne wurde aber auch jemand wie Peche zunehmend interessant.
Wobei die dunkle Seite Peches erst heute ins Bewusstsein gerückt wird.
Diese interessierte die Postmoderne weniger, heute scheint uns die düstere, verwirrende Seite Peches spannend. Seine Tier- und Menschendarstellungen sind oft richtig spooky, auch die Texte sind teils sehr dunkel, erinnern an Georg Trakl.
Woher kommt diese unheimliche Seite Peches?
Sie wurde befördert, nachdem er von 1917 bis 1919 eine sehr glückliche in Zürich verbracht hatte. Als er nach Wien zurückkehrte, musste er sich in einem maroden, feuchten Ausweichquartier einquartieren. Einer der Luxus schuf, hauste selbst in einem Loch. Ein unwürdiges Schicksal. Mit nur 36 Jahren starb Peche an einem bösartigen Tumor.
Persönlich genommen
Anne-Katrin Rossberg ist Kustodin der Sammlung Metall und des Wiener Werkstätte Archivs im MAK und beschäftigt sich seit rund 30 Jahren mit Dagobert Peche. Gemeinsam mit Claudia Cavallar kuratiert sie die Ausstellung „Peche Pop. Dagobert Peche und seine Spuren in der Gegenwart“.
Ab 11. 12. 2024
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