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Zwei Städte, zwei Länder – eine Kulturhauptstadt: Nova Gorica und Gorizia zeigen, wie aus einer einst geteilten Grenze ein gemeinsamer Raum für Kultur, Geschichte und Zukunft wird

Der Titel Kulturhauptstadt Europas bedeutet für die meisten Orte und Regionen vor allem einmal, über ihre Identität nachzudenken. Das zeigt sich auch im slowenischen Nova Gorica, wo es überdies noch eine Besonderheit gibt: Man lädt die italienische Schwesterstadt zum Mitmachen ein. Das ermöglicht eine spannende Reise durch die Kultur- und Architekturgeschichte.

In drei Schritten von Slowenien nach Italien

Es gibt wohl nicht viele Städte, in denen man aus dem Bahnhofsgebäude tritt und ein paar Meter vor sich auf eine Grenze stößt. Man steigt in Slowenien aus, überquert mit wenigen Schritten den Europaplatz und steht in Italien. Eigentlich die Erfüllung des Traums von einem geeinten Europa, aber die Vorgeschichte birgt jede Menge Dramatik. Die Grenze war von den Alliierten nach dem 2. Weltkrieg über Nacht gezogen worden, manchmal mitten durch private Häuser und Gärten; je nach Laune des Schicksals fanden sich die Menschen am nächsten Tag in Italien oder im kommunistischen Jugoslawien wieder. Der wunderschöne altösterreichische Bahnhof im Sezessionsstil steht heute etwas verloren da, denn weitere historische Gebäude sucht man in Nova Gorica vergebens. Kein Wunder, die Stadt wurde erst ab dem Jahr 1948 auf dem Areal hinter den Bahngleisen errichtet. Sie entstand auf dem Reißbrett und sollte eine realsozialistische Antwort auf den kapitalistischen Westen werden, angeordnet von Tito persönlich. Eine Modellstadt, die zeigen sollte, wie Gemeinschaft mit sozialistischem Antlitz ihren Ausdruck in Architektur findet. 

Die mediterrane Gartenstadt

Damit sei endlich auch mit der Mär von der geteilten Stadt“ ausgeräumt: Das jahrhundertealte Görz, das einstige Nizza von Österreich mit seinen Boulevards und Adelspalästen, liegt seit dem Zusammenbruch der k.u.k. Monarchie in Italien und heißt Gorizia. Nova Gorica hingegen ist eine eigene junge Kommune auf slowenischer Seite mit sehr speziellem Charakter. An einem der Hauptverkehrswege kann man ein Bronzemodell des Masterplans bestaunen, wobei bei näherem Hinsehen auffällt, dass dieses Idealbild nicht ganz der Realität entspricht. Nur ein geringer Teil der ursprünglich angedachten Gebäudekomplexe und Straßenzüge wurde verwirklicht – weil Tito ob seiner Widerständigkeit aus dem Verein der Blockstaaten rausgeworfen wurde und Jugoslawien bald das Geld ausging. Trotzdem ist heute noch gut erlebbar, was der Architekt Edvard Ravnikar, einstiger Schüler von Jože Plečnik und Le Corbusier, als verantwortlicher Stadtplaner angestrebt hat: eine mediterrane Gartenstadt mit vielen Freiflächen, luftig und großzügig, mit zahlreichen Flaniermeilen und breiten Fußgängerzonen, mit Geschäften und Lokalen, Büro- und Wohnzonen und zum Teil unterirdischen Zufahrtsstraßen, um den Verkehr vom täglichen Leben zu trennen. Durchaus visionäre Ansätze, die den Bewohnern heute noch viel Lebensqualität bieten, allerdings in gewöhnungsbedürftiger Plattenbau-Ästhetik. Auch die Repräsentationsgebäude – wie das Theater, die Bibliothek oder das Rathaus des bekannten Baukünstlers Vinko Glanz – verraten, dass Nova Gorica in größeren Dimensionen geplant war. Heute umspannen sie wie riesige Wächter eine grüne Wiese im Zentrum der Stadt. Ein Kuriosum, auf das die Bewohner durchaus stolz sind; das Unfertige und Ungefähre gehört eben zum Lokalkolorit. Immerhin wurde in den 1980er Jahren noch eine Universität eröffnet, die Zuzug und neues Leben gebracht hat. Zur selben Zeit setzte man auch auf den Casino-Tourismus. Neue Hotels und riesige Spielstätten machten Nova Gorica zum Little Las Vegas Sloweniens. Man nutzte einen der Vorteile einer Grenzstadt.

GO! Borderless” — Ein Aufruf zum Miteinander

Das Leben an der Grenze, das die Identität einer Region wesentlich bestimmt, ist nun auch ein großes Thema der Kulturhauptstadt Europas 2025. Ironisch kommentiert wird vor allem die Kunst des Schmuggelns, denn der illegale Warenverkehr funktionierte offenbar prächtig – und zwar in beide Richtungen. Man fuhr mit billigem Fleisch aus Jugoslawien nach Italien und kam mit Kaffee und Blue Jeans – zumeist kunstvoll verpackt und getarnt — zurück. Ein kleines Schmuggelmuseum direkt an der Grenze dokumentiert heute die Techniken und Tricks des Transportwesens. Ansonsten geht es aber vor allem darum, die Grenzen, die zumindest in den Köpfen der Menschen noch vorhanden sind, endlich abzubauen. GO! Borderless“ ist das Motto der Kulturhauptstadt; der geistige und kulturelle Austausch ist das Ziel. Einige Veranstaltungen finden daher auch auf italienischer Seite statt, wo man durch das alte Gorizia streifen und geschichtsträchtige Gebäude wie den Palazzo Lantieri besuchen kann.

Grenzenlose Freude überkommt einen aber vor allem im Umland von Nova Gorica. Die einstigen Früchtekammern des Wiener Hofes, das Vipava-Tal und die Goriška Brda (der slowenische Teil des Collio), sind von atemberaubender Schönheit und laden zu ausgedehnten Touren ein. Und auch hier stößt man auf zahlreiche Kunstinitiativen, die von der Kulturhauptstadt unterstützt werden. Der Art Circle etwa zeigt eine Gruppenausstellung in der prächtigen Renaissancevilla in Vipolze und lädt zu 20 Winzern, die über den Sommer 40 Künstler präsentieren. Die Winzer wussten immer schon, wie man Grenzen überwindet, hatten ihre Weingärten hüben wie drüben und zeigten mit ihren himmlischen Kreszenzen, wie man das Beste aus allen Welten verbindet. Spätestens hier begreift man, was GO! Borderless“ bedeutet

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