Mode im Dialog mit der Kunstgeschichte – Oliver Gabet, Direktor der Abteilung für Kunstgegenstände des Louvre-Museums, im Exklusivinterview.
Neun Jahre leitete Olivier Gabet das Pariser Musée des Arts Décoratifs und richtete in dieser Zeit einige der spektakulärsten Modeausstellungen aus. Jetzt, als Direktor der Kunstobjekte-Abteilung des Louvre, zeigt er das erste Mal in der Geschichte des weltberühmten Museums eine Modeausstellung: „LOUVRE COUTURE. Objets d’art, objets de mode“. Ein Gespräch über die Hintergründe.
Der Louvre richtet erstmals in seiner Geschichte eine Modeausstellung aus. Was hat sich im Louvre, was in der Gesellschaft, verändert, dass Sie das Museum für Mode öffnen?
In den vergangenen Jahren kam es zu einem regelrechten Boom an Modeausstellungen – allerdings meist nur in Modemuseen. Ihr Erfolg hat auch andere Museen auf die Idee gebracht und sie haben immer stärker mit Mode gearbeitet, oft allerdings nur als Beiwerk. Im Louvre erleben wir gerade große Veränderungen, unsere Direktorin Laurence des Cars möchte das Museum für neue Zuschauer öffnen. Wir haben derzeit zwar unglaubliche neun Millionen Besucher im Jahr, wollen aber vermehr auch neue Besucherschichten und auch die lokale Bevölkerung ansprechen.
Und dafür eignet sich das Thema Mode?
In Pasis ist das absolut der Fall, hier spielt Mode eine ungemein bedeutende Rolle. Uns geht es aber mit der Ausstellung „Louvre Couture“ nicht darum, eine weitere Modeausstellung, halt jetzt im Louvre, zu zeigen, sondern unsere Kollektionen in einer ganz neuen Weise zu präsentieren.
Inwiefern?
Der Louvre war und ist für viele Designer und für viele Menschen in der Modewelt eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Als ich mit den Recherchen zu dieser Ausstellung begann, fragte ich die zehn Kuratoren in meiner Abteilung, welche Assoziationen sie haben, wenn sie auf bestimmte Kollektionen blicken. Es war faszinierend, wie reichhaltig diese waren. Sie erkannten sofort, wie genau sich manche Designer mit einzelnen Epochen und Kunstwerken beschäftigten, der Renaissance, dem Barock oder dem Rokoko zum Beispiel, oder wie andere oft nur eine Stimmung oder einzelne Details aufgriffen.
Es geht also um einen Dialog zwischen der Geschichte der Kunst und jener der Mode?
Genau, allerdings immer anhand bestimmter Objekte oder Textilien. Die Ausstellung findet nicht in einem White Cube statt, sondern in unseren Galerien. Man wird auf Tapisserien aus dem Mittelalter stoßen und daneben auf ein wunderbares Kleid von Jean-Charles de Castelbajac, der bekanntlich vom Mittelalter und seiner Kunst fasziniert war. Als ein Freund der Sex Pistols, von Robert Mapplethorpe oder Jean-Michel Basquiat vereinte er in seinen Designs die Popkultur mit dem Mittelalter.
Manche Designer bieten sich für einen solchen Dialog regelrecht an, zum Beispiel Karl Lagerfeld.
Ja, Lagerfeld war wie ein Schwamm, er saugte Kunstgeschichte regelrecht auf. Aber auch jemand wie John Galliano wird prominent vertreten sein, Alexander McQueen. Insgesamt zeigen wir 70 Silhouetten von 45 Modehäusern bzw. Designern.
Modeausstellungen galten lange als verstaubt und langweilig. Das hat sich in der jüngeren Vergangenheit grundlegend geändert. Sie selbst haben mit ihren großen Dior‑, Schiaparelli oder Iris van Herpen-Ausstellungen im Musée des Arts Décoratifs unter anderem dabei mitgeholfen. Woher kommt diese neue Attraktion?
Man muss es schaffen, dass Mode mit Menschen auch jenseits von Mode spricht.
Was meinen Sie damit?
Ich mag es nicht, wenn Modeausstellungen nur von Mode handeln. In Paris gab es zum Beispiel eine Ausstellung über den Modeschöpfer Azzedine Alaïa und die Ausstellung schaffte es, nicht über seine Faszination für Objektdesign zu sprechen. Dabei ist sein eigenes Design grundlegend von seiner Liebe zu Möbeln inspiriert. In meiner Sicht entsteht Mode genauso wie Kunst nicht in einem luftleeren Raum, sondern im Dialog mit anderem Design, mit der Gesellschaft oder was auch immer.
Es gibt so etwas wie eine Hierarchie der Künste. Während Kunst an der Spitze steht, ist Mode ein paar Stufen drunter angesiedelt. Provokativ gefragt: Warum ist Mode plötzlich gut genug für den Louvre, diesen Tempel der Kunst?
Wir leben in einer sich grundlegend verändernden Welt. Wer sind die großen Player in der Gegenwartskunst? Menschen wie Bernard Arnault oder Francois-Henri Pinault, die Chefs der größten Luxuskonglomerate der Welt. Zum einen. Zum anderen sehen wir, dass Modeausstellungen, wenn sie mit derselben Sorgfalt und auf demselben Niveau gemacht werden wie eine Ausstellung über Rembrandt oder Matisse, vom Publikum gestürmt werden. Die Zeit scheint reif dafür zu sein, auch den Louvre für Mode zu öffnen. Wir hoffen, dass wir damit Besucher ansprechen, die wir sonst nicht erreichen könnten. Und auch, dass wir die Scheinwerfer damit auf Teile unserer Sammlungen richten können, die weniger bekannt sind. Wenn sich Menschen wie Karl Lagerfeld oder Vivienne Westwood eingehend mit diesen Objekten beschäftigt haben, warum sollte nicht auch ich einen Blick darauf werfen?
Eine grundsätzliche Frage: Gibt es überhaupt Mode in den Sammlungen des Louvre?
Nein. Wir haben zwar viele Donatoren aus der Modewelt, Yves Saint Laurent, Pierre Bergé oder Marie-Louise Carven, um nur einige zu nennen. Auch gibt es enge Verbindungen mit den großen Luxuskonzernen. Dior hat zum Beispiel bereits eine seiner Modeschau im Louvre ausgerichtet. Aber Mode? Alles aus diesem Bereich befindet sich im Musée des Arts Décoratifs, wo ich früher gearbeitet habe. Die Modeobjekte, die wir zeigen, kommen alle von außen, nicht von anderen Museen, sondern von den Modemarken selbst, den Designern, von Foundations.
Eine grundlegende Schwierigkeit bei Modeausstellungen ist, Kleidung lebendig zu machen, Mode so zu inszenieren, dass sie zu uns spricht. Wie schafft man das?
Das ist die Gretchenfrage. Bei „Louvre Couture“ gehen wir sehr respektvoll mit den Objekten um. Wir sind immerhin der Louvre, wir brauchen eine gewisse gravitas. Dennoch muss die Mode lebendig werden, da haben sie Recht. Wie wir das machen werden, da will ich noch nicht zu viel verraten, nur so viel: Die Präsenz von Mode ist so neu für den Louvre, dass die Besucher ganz automatisch davon irritiert sein werden und darauf reagieren werden.
Werden Sie auch die jüngere Modegeneration miteinbeziehen?
Darüber haben wir lange diskutiert. In der Kunst zeigen wir im Louvre selten jüngere Künstler, aus einem einfachen Grund: Was soll nämlich, wenn man 30 ist, noch kommen, wenn man in diesem Alter schon im Louvre ausgestellt wird? Dennoch werden wir Stücke von Modemachern wie Erdem, Jacquemus oder Demna Gvasalia von Balenciaga in die Ausstellung integrieren.
Sie haben einmal gesagt, dass das wichtigste Ziel eines jeden Museums sein muss, die Jugend zu gewinnen. Gilt das auch für den Louvre, der besuchermäßig bereits jetzt aus allen Nähten platzt?
Unbedingt. Der Louvre soll nicht nur jünger, sondern auch diverser werden. Wir möchten ein breiteres Publikum ansprechen — ohne Konzessionen an das Ausstellungsniveau zu machen. Wir müssen auf die Besucher zugehen, mit einfacheren Texten zum Beispiel, mehr Erklärungen. Als Direktor des Musée des Arts Décoratifs habe ich realisiert, dass Mode ein Einstieg in die Welt der Museen sein kann. Mode spricht eine universelle Sprache, sie ist überall, Menschen haben ganz automatisch einen Bezug zu ihr, auch wenn sie vielleicht von Kunst keine Ahnung haben. Genau das sollten wir nutzen, und genau das wollen wir nutzen
Am 24. Januar 2025 hält die Mode Einzug in das Louvre-Museum mit „LOUVRE COUTURE. Objets d’art, objets de mode“ (Kunstobjekte, Modeobjekte).
Die Ausstellung bietet einen beeindruckenden und noch nie dagewesenen Dialog zwischen den Meisterwerken der Abteilung für Kunstgegenstände des Museums und bedeutenden Stücken der zeitgenössischen Modegeschichte von den 1960er Jahren bis 2025, von Cristóbal Balenciaga bis Iris van Herpen.
Auf einem Rundgang durch die Sammlungen des Museums auf fast 9.000 Quadratmetern werden hundert Silhouetten und Accessoires mit der Geschichte der dekorativen Künste, der Stile, des Kunsthandwerks und des Ornaments in Verbindung gebracht und veranschaulichen auf gelehrte, bewegende und poetische Weise die enge Beziehung zwischen Mode und Kunst. Diese bemerkenswerten Leihgaben wurden zum ersten Mal von fünfundvierzig der bedeutendsten Häuser und Designer der Modegeschichte zur Verfügung gestellt.
Von 24. 01. bis 21. 07. 2025
louvre.fr
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