Kaum jemand beobachtet das Zusammenspiel der Luxusindustrie mit der Kunst- und Kulturszene so genau wie Federica Carlotto. Die Luxus-Expertin über neue Businessmodelle, die Veränderungen des kreativen Felds und ihre liebsten Kollaborationen.
Federica Carlotto zählt zu den scharfsinnigsten Beobachterinnen an der Schnittstelle von Luxus, Kunst und Kultur. Mit einem akademischen Hintergrund in Anthropologie und Management sowie Stationen an renommierten Institutionen wie Sotheby’s Institute of Art in London hat sie sich international als Stimme etabliert, wenn es darum geht, die Mechanismen der Luxuswelt zu entschlüsseln. Sie analysiert nicht nur, wie Marken mit kulturellem Kapital spielen, sondern zeigt auf, wie sich traditionelle Geschäftsmodelle unter dem Einfluss kreativer Disziplinen neu formieren. In einer Zeit, in der Luxus nicht mehr nur durch Produkte, sondern zunehmend durch Haltung, Werte und kulturelle Relevanz definiert wird, versteht Carlotto es, Entwicklungen präzise einzuordnen. Mit Signature spricht sie über aktuelle Verschiebungen im kreativen Feld, die Zukunft der Luxusindustrie – und welche Kollaborationen für sie selbst mehr sind als nur strategische Allianzen.
Luxusmarken kooperieren immer öfter mit Künstlern. Ist das ein Trend oder etwas, das gekommen ist, um zu bleiben?
Federica Carlotto: Das ist mehr als ein Trend. Modemacher bzw. die Luxusindustrie haben zwar immer wieder mit Künstlern zusammengearbeitet, man denke etwa an Schiaparelli und Salvador Dalí; in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten entwickelte sich aber ein regelrechtes neues Businessmodel – ein sehr erfolgreiches. Diese Vernetzung von Luxus und Kunst fällt zusammen mit einer tiefgreifenden Umwälzung des Business selbst: Luxusmarken wurden größer und globaler und mussten mehr und mehr Gewinne einstreichen. Aus dem Lederwarenhersteller Louis Vuitton beispielsweise wurde in dieser Zeit ein globaler Luxuskonzern. Auch Künstler suchen vermehrt eine Erweiterung ihrer Ausdrucksmöglichkeiten.
Wo sehen Sie die Initialzündung, also eine Kollaboration, die diese Entwicklung eingeleitet hat?
FC: Als Marc Jacobs Kreativdirektor von Louis Vuitton wurde und 2000 mit dem Graffitikünstler Stephen Sprouse zusammenarbeitete, war das so etwas wie ein Gamechanger. Der Run auf die limitierte Edition war riesig, die Produktpalette erweiterte sich, der Konzern profitierte enorm. Und man sprach Kunden an, die man ansonsten vielleicht nicht erreicht hätte, die an Kunst und Kultur interessiert waren und durch den Kauf einer Louis-Vuitton-Stephen-Sprouse-Tasche kommunizieren wollten, dass sie cool und kulturell bewandert sind. In der Sprache der Soziologie würde man sagen: Sie unterstrichen bzw. vermehrten ihr „kulturelles Kapital“.
Interessanterweise rümpfte die westliche Kunstwelt über diese Zusammenarbeit die Nase. Eine berechtigte Kritik?
FC: Sie sprechen richtigerweise von der westlichen Kunstwelt, die sich an der Oberfläche als sehr intellektuell und konsumkritisch versteht. Im Osten war das anders: Der japanische Künstler Takashi Murakami, mit dem Marc Jacobs und Louis Vuitton später kollaborierten, wandte sich in einem Manifest genau gegen diesen Dünkel der westlichen Kunstwelt. Manga und Anime sind für ihn künstlerische Ausdrucksweisen, auch wenn der Mainstream in der Kunstwelt das damals nicht so sah. Nach und nach veränderten diese Kollaborationen also auch das Verständnis davon, was Kunst und was Luxus ist, bzw. die Grenzen lösten und lösen sich immer mehr auf.
Heute sieht man die Zusammenarbeit von Künstlern mit Luxuslabels also weitaus lockerer?
FC: Das kreative Feld hat sich tiefgreifend verändert, sowohl was die Kunstszene als auch was die Luxusindustrie betrifft. Denken Sie nur an jemanden wie Virgil Abloh, der sich selbst nicht als Designer bezeichnet hat. Viele verstehen sich vielmehr als Kreative, die nach der jeweils richtigen Plattform für die eigenen Ausdrucksweisen suchen, sei es am Kunst‑, Mode- oder Luxusmarkt. Der Zugang ist wesentlich holistischer geworden, wenn man so will.
Auch die Zusammenarbeit zwischen Kunst und Luxus ist sehr vielgestaltig. Da gibt es Kapselkollektionen von Künstlern, Kunst-Foundations von Luxusmarken, Künstler, die Luxusgeschäfte gestalten etc. Was sind die ‑Voraussetzungen, dass die Zusammenarbeit wirklich Sinn macht und auch finanziell funktioniert?
FC: Aus der Sicht der Luxusmarken: Es geht darum, eine Vision für eine Marke zu haben, also das, was Loewe unter Jonathan Anderson oder Moncler unter Remo Ruffini gezeigt haben. Anderson betonte den Handwerkscharakter der Loewe-Produkte, Ruffini will zeigen, was man aus einer Daunenjacke alles machen kann. Welche Form der Zusammenarbeit man dann wählt, ist zweitrangig; wichtig ist, dass die Kollaboration für das größere Ziel passt, welches sich eine Marke setzt. Dasselbe betrifft auch die Künstler, für die eine Zusammenarbeit dann Sinn macht, wenn sie zu ihren Themen, zu ihren künstlerischen Mitteln passt.
Bei all diesen Kooperationen geht es um verkaufbare Produkte, um Handtaschen oder Winterjacken zum Beispiel. Warum aber betreiben immer mehr Luxusmarken ihre eigenen Kunst-Foundations, die nicht unmittelbar in den Umsatz der Unternehmen einzahlen?
FC: Da gibt es zunächst einen persönlichen Zugang: Viele Menschen in der Mode- und Luxusindustrie wie Achille Maramotti (Max Mara) oder Miuccia Prada sammeln Kunst, die sie auch öffentlich zugänglich machen wollen. Andererseits müssen wir die Luxusindustrie zunehmend als etwas verstehen, das nicht nur Produkte, sondern auch kulturelle Werte verkauft. Luxusmarken werden zu Playern im Kulturbereich – sie verpassen sich dadurch eine andere Identität, eine, die nicht mehr ausschließlich von Konsum geprägt ist. Prada ist heute nicht nur eine Luxusmarke, sondern so etwas wie eine Kulturinstitution, und das wirkt sich natürlich positiv auf die Umsätze aus.
Überlagert das Image einer Marke zunehmend auch die Produkte selbst, was zum Beispiel Qualität und Verarbeitung anbelangt?
FC: Als Konsumenten stehen wir heute vor einer unendlichen Auswahl an Produkten. Deswegen suchen wir etwas, das heraussticht, das von Bedeutung ist, in unsere jeweilige Welt und zu unserem Lifestyle passt. Wir suchen nach Produkten mit Geschichten, und genau das ist es, was Luxus bietet, wenn er mit Künstlern zusammenarbeitet. Und ja: Vielleicht geht es da nicht in erster Linie nur um Qualität.
Last but not least: Was ist Ihr persönliches Highlight bei den Kooperationen der vergangenen Jahre?
FC: Sie werden jetzt lachen, aber meine Lieblingskooperation ist bis heute die Zusammenarbeit von Adidas mit der sehr traditionellen deutschen Keramikmanufaktur Meissen. Man arbeitete beim Design neuer Sneaker mit Keramikmustern der Kratervase von 1856. Der Verkauf der Sneaker kam Kunststudenten zugute, die sich ansonsten ihr Studium nicht hätten leisten können. Ich fand diese Kooperation so überraschend und originell, dass ich bis heute ein großer Fan davon bin.
Buchtipp
Luxury Brand and Art Collaborations
Federica Carlotto, Programmdirektorin des MA Luxury Business Sotheby’s Institute in London
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