Wo der Architekturkrimi am Nil und auf der Welt heute weitergeschrieben wird.
Die Bandbreite für das geheimnisvolle Abenteuer Ägypten ist so weit wie die altägyptische Geschichte lang. Etwa das vermeintlich abgearbeitete Thema Cheops-Pyramide – dem sich der Stuttgarter Architekt Bernhard Kerres nach behördlich verordnetem De-facto-Stillstand der Feldforschung seit den 1970erJahren erst kürzlich keinesfalls mit esoterischer Überheblichkeit, sondern vielmehr mit akribischer Konstruktionslogik näherte und eine Bauwerksanalyse ablieferte, die neben der spannenden Hypothese der Kammerbauweise auf Rasterbasis mit der überraschenden Idee eines Wechselaufzugs an der geometrischen Mitte der Pyramide aufwartet. Dass 90 Prozent des Pyramideninneren unbekannt sind, ist zugleich typisch für den gesamten historischen Umraum. Fast könnte man meinen: Carters halb offene Tür zum letzten Schrein ist überall.
Erfolgreich auf Sand gebaut
Mehr Wind machen freilich die Tausend-Gulden-Spatenstiche der ägyptischen Archäologiegeschichte. Da wäre jene meisterhafte Büste der Nofretete, die der deutsche Archäologe Ludwig Borchardt 1912 in der Werkstatt des Oberbildhauers Thutmosis entdeckte und die nun, zum Ärgernis ägyptischer Behörden, zu den Hauptattraktionen des Ägyptischen Museums Berlin zählt. Oder der Stein von Rosette. Allein der Name klingt wie ein Sequel aus der Schreibwerkstatt Dan Browns und die Protagonisten erst recht: der Kapitän Napoleons. Unterwegs im Nildelta und auf hohem Ross. Auch hier: ein Sturz! Aber nicht wie beim rasenden Lord Carnarvon ins Taunus-Schlagloch, sondern über einen halb vergrabenen Stein. 792 Kilo schwer und von unermesslichem Gewicht für die Ägyptologie ist er. Denn neben den darauf befindlichen Hieroglyphen findet sich die altgriechische Übersetzung – es ist der Schlüssel zur altägyptischen Schrift. Heute zu bewundern im British Museum in London.
Spannend liest sich auch die Entdeckung der Tempel von Abu Simbel durch den Schweizer Jean Burckhardt. Bereits 1812 ist der Abenteurer, der unter dem Namen Scheich Ibrahim jahrelang den Orient durchstreifte, auch in der verlassenen, weit im Süden Ägyptens gelegenen Gegend unterwegs. Irgendwann steht Burckhardt vor einem vergessenen Schatz, den der Wind unter Sand vergraben hat. Nur von einer der vier Kolossalstatuen lugen zu diesem Zeitpunkt noch Kopf und Schulter hervor, das Höhleninnere des unter Ramses II. errichteten Felsentempels ist bereits zur Gänze versperrt. Zu Ende war die faszinierende Geschichte der beiden vergessenen Tempel von Abu Simbel mit deren Freilegung bekanntlich nicht. In den 1960er-Jahren wurden sie im Zuge des Assuan-Staudammbaus mit Sägen in 1.036 Blöcke unterteilt und versetzt.
“Abu Simbel gilt als Initialprojekt und Startschuss für die Erstellung der UNESCO-Welterbeliste.”
Ein höchst positives Nachspiel hatte die international koordinierte Hilfsaktion auch: Abu Simbel gilt als Initialprojekt und Startschuss für die Erstellung der UNESCO-Welterbeliste. Ein Kapitel für sich stellt der tauchende Archäologe Franck Goddio dar. In Ägypten hatten es ihm die Erzählungen von antiken Stätten des Nildeltas angetan, die nie gefunden worden waren. Das sagenumwobene Kanopus war so ein Fall. Oder Thonis, einst Ägyptens Tor zur Welt. Dass der große Hafen Alexandrias im Lauf der Zeit vom Wasser verschluckt wurde, kam dem Franzosen da entgegen. Nun bedienen Goddios aufsehenerregende Ausstellungen – etwa „Ägyptens versunkene Städte“ – auch den Faktor Indiana Jones – wie ihm von der Fachwelt prompt vorgeworfen wird. Doch die Entdeckung eines kompletten Villenvororts Alexandrias aus der Zeit vor der ‑Eroberung durch Alexander den Großen, das Aufspüren der Hafeninsel Antirhodos samt dem Layout des antiken Hafens von Alexandria, die Ergänzung des ältesten ‑bekannten astrologischen Kalenders der Menschheit und Bilder von Tauchern, die kolossale Statuen umschwärmen, machen vor allem sprachlos.

Geschichte mit Bart
Fast beliebig ließe sich diese Liste bis in die Gegenwart prolongieren. Denn kaum ein Jahr vergeht, in dem der uralte Boden, auf dem das langatmigste Imperium der Weltgeschichte, das atemberaubende 3.000 Jahre lang immer wieder neu erstand, nicht weitere steinerne Zeugen freigibt – fast egal in welchen Landesteil man blickt. Erst vor wenigen Monaten schaffte es das Tal-al-Samara-Gebiet nördlich von Kairo in die Schlagzeilen – weil sich unter unscheinbar wirkenden Löchern eines der ältesten je ausgegrabenen Dörfer des Nildeltas verbarg. Datiert auf das 5. Jahrtausend v. Chr. 2017, tauchten vor den Augen deutscher Archäologen unter den Fundamenten eines Armenviertels in Kairo Fragmente einer Kolossalstatue aus dem Tempel des Sonnengottes Ra auf, und im nächsten Jahr erregte im Tal von Edfu die Entdeckung 4.400 Jahre alter Minenarbeiterhäuser das Interesse der Fachwelt. 2019: Forscher legen bei Minja eine neue Sphinx-Statue frei – und rücken den mittelägyptischen Ort auch wegen zahlreicher weiterer Mumienfunde in den Fokus der Forschung.

Ähnliches gilt für Sakkara, die altägyptische Nekropole unweit von Kairo – jene mit der längsten Nutzung überhaupt. Auch hier häufen sich Funde von Mumiensärgen und reich geschmückten Grabkammern, die das sieben Kilometer lange Tal zu einem neuen Zentrum der altägyptischen Archäologie machen – schon gilt es als neues Luxor. Die medienwirksame Öffnung von sieben Steinsärgen für Katzenmumien vor laufender Fernsehkamera ist da auch als Promotion für ein neues kulturtouristisches Ziel zu verstehen. Ägypten will seine angeschlagene Tourismusindustrie – eine Haupteinnahmequelle – um jeden Preis reanimieren. Für 2021 ist die bereits mehrmals verschobene (Teil-)Eröffnung des Grand Egyptian Museum bei den Pyramiden von Gizeh geplant, ein Werk des irischen Architekturbüros heneghan peng architects. Es wird gleich am Eingang mit einem „Hängenden Obelisken“ von Ramses II. aufwarten, ferner mits einem interaktiven Kindermuseum, und in der „König-Tut-Galerie“ Artefakte des Goldenen Pharaos versammeln. Noch herrscht gähnende Leere. Doch das ambitionierte Ziel lautet, größtes und meistbesuchtes Museum der Welt zu werden. Man muss kein Chefastrologe im Dienste eines Pharaos sein, um eine weitere Verschiebung zu prognostizieren: 2022, zur hundertsten Jährung von Tutanchamuns Grabentdeckung, wäre kein ungünstiger Termin!

Ägypten ganz nah: wo man die Schätze der Pharaonen in Europa erleben kann.
The British Museum, London: Das British Museum besitzt die größte und umfassendste Sammlung zur Geschichte des alten ‑Ägypten außerhalb Kairos. Auch der Stein von Rosette hat dort seinen Platz gefunden. britishmuseum.org
Musée du Louvre, Paris: Die Ägyptologische Abteilung des Louvre beinhaltet 5.000 Objekte von höchster Qualität. louvre.fr
Museo Egizio, Turin: Ein Schwerpunkt von Europas ältestem ägyptologischem Museum aus dem Jahr 1824 ist der Begräbniskult. Spektakulärstes Exponat ist das vollständig erhaltene Grab des Baumeisters Kha und seiner Frau Merit. museoegizio.it
Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Berlin: Neben der weltberühmten Nofretete-Büste findet sich hier die große Säulenhalle aus dem Pyramidentempel des Königs Sahure (2400 v. Chr.). smb.museum
Staatliches Museum Ägyptischer Kunst, München: Der 2013 eröffnete Museumsneubau liegt komplett unterirdisch und zeigt altägyptische Kunst. Im Mittelpunkt stehen Rundplastiken sowie Kunstwerke aus Nubien. smaek.de
Papyrussammlung und Papyrusmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek:
Mit 180.000 Objekten ist die Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien die größte der Welt. onb.ac.at
Ägyptisch-Orientalische Sammlung des KHM Wien: umfangreiche Bestände an Denkmälern des alten Reichs. khm.at
Virtuelle Ägyptentour:
Die Antike per Virtual Reality erleben? Mit der App des Entwicklerstudios Experius VR kann das Grabmal der Königin Nefertari ganz bequem besucht werden. „Journey to Eternity“ erlaubt realistische Einblicke in das von prächtigen Wandmalereien charakterisierte Felsengrab der einstigen Ehefrau von Ramses II. steamspy.com
Teil 1 dieser Geschichte lesen Sie hier

Auszeit am Achensee

P(a)aradies für Große

Exklusive Auszeit am Wörthersee
22.Oktober.2021
Starke Staycation
Future Zone – Suites für übermorgen
Manchmal laden Hotels zu Zeitreisen ein. Vom Trip ins Mittelalter soll hier aber nicht die Rede sein. Sondern von Gucklöchern in die Zukunft. Ganz anderes als gewohnt. Aufregend neu. Davon erzählen die futuristischen, fluiden Formen jener Stararchitekten, die Häuser wie Raumschiffe denken. Zaha Hadids ikonische Bauten stechen dabei besonders hervor. So erstaunt es zugleich, dass die Londoner Architektin im Lauf ihrer Karriere lediglich ein einziges Hotel entworfen hat, das dieses Jahr eröffnet wurde. Es ist das ME Dubai im Gebäude Opus by Omniyat, liegt mitten im Herzen des Burj-Khalifa-Viertels und treibt Hadids dynamischen Stil auf die Spitze. Das beginnt bereits bei der Außenansicht. Zwei separate Türme verbinden sich zur Form eines Würfels, die zentrale Aussparung und die glänzenden Oberflächen lassen das Gebäude schweben. Im Inneren des Atriumbaus kontrastieren weiche Formen und spitze Winkel – typisch für Hadids Übermorgenstil. Einen längeren Aufenthalt ist hier aber auch das ultramoderne japanische Robatayaki-Restaurant ROKA wert. Apropos futuristische Hotels: Zwei weitere Favoriten finden sich im benachbarten Abu Dhabi. Denn auch das W Abu Dhabi – Yas Island suggeriert Speed und kuschelt sich wie ein Alien an Abu Dhabis F1-Rennstrecke. Ähnlich schräg: das Hyatt-Projekt Andaz Capital Gate, ebenfalls in Abu Dhabi. Es erinnert an den schiefen Turm von Pisa – der irrtümlich in die Zukunft verpflanzt wurde.
21.Juni.2021
Urlaub für Solisten
Urlaub für Solisten: Wo es sich mit viel Abstand herrlich genießen lässt. Teil 2 des Reise-ABCs für Ferien mit Privatfaktor.
Freiraum war selten so sehr gefragt, wie jetzt. Ebenso wie Freiheit! Wo und wie man diese beiden Werte perfekt auf Reisen kombinieren kann, verraten diese Tipps. Mit Sicherheit inspirierend.
30.November.2020
Das große Pyramidenspiel
Wie man die Faszination Ägypten als Kopfkino am besten erlebt.
Lord George Edward Stanhope Molyneux Herbert, der 5. Earl of Carnarvon, war nicht bloß Dandy und Liebhaber schneller Pferde und rassiger Autos. Vor allem war er ein Mann mit vielfältigen Möglichkeiten. Sein englischer Wagen hatte das schlichte Kennzeichen 3 – er besaß ihn bereits zu einer Zeit, da neumodische Motorkutschen im Vereinigten Königreich noch nicht mal zugelassen waren. So fanden sich französische Landstraßen für die automobile Passion und im deutschen Taunusgebirge leider ein Schlagloch, das auf verwickelte Weise zu Tutanchamuns altägyptischem Grab führen würde. Doch zunächst sorgte es für einen katastrophalen Unfall, der dieser schillernden Biografie eine entscheidende Wende verlieh – und den angeschlagenen Lord aus Gründen der Rekonvaleszenz in trockene Klimazonen expedierte. Kurz: Lord Carnarvon langweilte sich plötzlich im Schatten der großen Pyramiden und entdeckte fast zwangsläufig ein neues Hobby: die Archäologie. Das nötige Kleingeld für eine 1914 frei gewordene Grabungslizenz im Tal der Könige fiel für Männer wie ihn unter die Kategorie „Peanuts“.

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Street Art erobert die Städte, Museen und Herzen der Welt – ein Streifzug.