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Bücher sind Freunde: Extravagante Bibliotheken liegen im Bautrend. So entstehen weltweit demokratische, offene Räume mit Designfaktor der Extraklasse. Ebenfalls eingeladen: die Multimedia-Kumpels Film, Video, Gaming, Werkstatt, Tontechnik und Co.

Fast modisch sieht er aus, der gestreckte ­sandgelbe Baukörper der neuen Bibliothek Oodi im Herzen Helsinkis: Organische Schichten aus Holz, Glas und Stahl erinnern an mehrlagige Säume eines Kleides. Weiche Wellen umspülen Grüppchen junger Finnen und türmen sich wie ein schützender Überhang über dem verglasten Eingang auf. Im dritten Geschoß verschmilzt ein milchig weißes Dach zum intimen Zelt-Look. Dass ALA Architects hier weit mehr geschaffen haben als bloß eine neue Städtische Bibliothek, spürt man auf Anhieb. Dezidiert non­commercial“ ist die neue Architekturikone im kulturellen Gravitationszentrum Helsinkis, eher ein ­Werkzeugkasten für Kreativität. 

So überrascht es auch nicht, dass Skandinaviens span­nendste Flagship ­Library eine Gemeinschaftsküche aufweist, ent­spannte Sitz­­stu­fen, die zum Plaudern einladen, ferner Workshop-Räume für Audio-Tech­nologien, den Kinosaal Regina, eine eigene Zone für Pop-up Events, Säle für Performan­ces oder Lectures und, und, und. In Summe lotet dieses vielfältige Angebot neue Sichtweisen auf den ­Gebäu­de­ty­pus Bibliothek aus. Oodi will User mit Kenntnissen versorgen, neue Fähigkei­ten vermitteln, ein Ort des Lernens, Ar­­beitens und Entspannens sein – so cha­rakterisieren die Planer die Bibliothek. Weil sie in Finnland steht, der demokratische Musterschüler mit den guten PISA-Noten und eine ­eifrige Bücherleser-Nation überdies, wurde die Bevölkerung bereits vor der Planung an­geregt, eigene Wünsche einzubringen. Das beschert Oodi nun Gaming Rooms, Studios für Musik‑, Foto- und Videoaufnahmen. Und hinter einer versteckten kleinen Tür in einem Bücherregal ganz am Nordende des dritten Gescho­ßes einen kuscheligen, orange­far­be­­­­­­­nen, gut gepolsterten Geheimraum für kluge Kinder. Wie ein Lesenest sieht er aus. 

Aufbauende Bestseller

Gut versteckte Geheimtüren und inti­me Zugänge findet man in anderen neu errichteten Bibliotheken vielleicht nicht. Aber zugleich fügt sich Helsinkis neue Bibliothek nahtlos in einen Trend, der weltweit neue Bibliothekenseiten aufschlägt. Die ­Skandinavien-Connection ist da kein schlechter Startpunkt. Zwei Länder weiter links eröffnete erst letztes Jahr Oslos ähnlich moderne Biblio­thek Deichmann, die abgesehen von Bü­­chern und einem Gaming-Bereich mit Werkstätten und dem Verleih von Musikinstrumenten aufwartet. Nach Einbruch der Dunkelheit schreibt das Gebäude selbst ein wenig auf ­Oslos Skyline – indem es leuchtet und permanent sein Aussehen verändert. 

Ebenfalls aus Skandinavien ­stammen einige jener Architekturbüros, die solch veränderte Denkweisen zum Thema Bibliothek weltweit realisieren. Wer Calgarys East Village besucht, ein ange­­­sagtes Viertel mit umgebauten Lagerhäusern, darf sich angesichts der Central Library des norwegischen Büros Snøhetta auf eine ­besondere Durchdringung freuen. Passend zur unregel­mäßigen Wabenstruktur der weitgehend transparenten Fassade, die an Schneeflocken erinnert, verschmelzen hier der Kulturraum Stadt und die umliegende Natur in besonderer Intensität. Die roten Züge von Calgarys Light Rail Transit Line kurven in sichelförmigem Gleisverlauf unter den Eingeweiden des transparenten, betont offenen Baus. Blickt man aus einer anderen Perspektive auf die ­kristalline Fassadengeo­metrie, so wölbt sich ­Calgarys Central Library hinter kleinen Ziegelbauten eines historischen Straßenzugs und erinnert dabei an Kanadas Chinook-Wolkenbögen, die am Ostrand der Rockys von Zeit zu Zeit kalte Winde in den Präriehimmel zaubern. Die Message ist klar: Die Bibliothek ist der Kitt, der Downtown und Vorstadt zusammenhält. Dass mehr als die Hälfte aller Bewohner Calgarys einen Bibliotheksausweis nutzen, ist Nordamerika-Rekord. Dass die räumliche Organisation auch dieser Bibliothek, von Fun“ nach ­„Serious“ angeordnet, ganz unterschiedliche Funktionen erfüllt, ist typisch für die neue Sicht auf die einst akademisch ausgerichtete Institution Bibliothek. 

Libre Library!

Mühelos lassen sich weitere Beispiele für das Comeback moderner Bibliothe­ken finden – und das auf jedem ­Erdteil. Regionale Bezüge spielen dabei durchaus eine Rolle. So wurde das Design von Sydneys Macquarie University Library von den umliegenden Eukalyptuswäldern inspiriert und jenes von Mexico Citys UNAM Central Library durch folkloristische Motive, die tief im prä­ko­lumbianischen Kulturerbe wurzeln. Da wäre die spektakuläre chinesische Tianjin Binhai Library der ­Rotterdamer MVRDV Architekten: ein lichtdurchflu­teter, futuristischer Bau für 1,2 Millionen Bücher, die, in raumhohen, fluiden Regalen geparkt, zugleich die Innenwände des dynami­schen Baus bilden. Alles greift ineinander: Regal und Sitzstufen bilden eine Einheit. Die Bibliothek selbst ist wiederum Teil eines weit­läufigen Kulturbezirks und über unter­­irdische, mit natürlichem Tageslicht versorgte Gänge mit vier weiteren Kul­­­tur­­einrichtungen verknüpft. 

Eine ganz ­a­n­dere Verschränkung zeichnet ­wiederum Dohas Qatar National Libra­ry aus. Das Rotterdamer Büro OMA schuf hier ­einen ­abgesenkten Bereich für histo­ri­sche Werke, der Assoziationen an ar­­chäologische Grabungsstätten abruft. 20 Jahre zuvor ließ Alexandria aufhorchen: Die von Snøhetta ­entworfene Bibliotheca Alexandria knüpft an die berühmtes­te Bibliothek der Antike an – und unterstreicht so die zentra­le Bedeutung hinsichtlich des Wissens­transfers. Der Ansatz, besonders wertvollen Büchern einen gebührenden Rahmen zu verleihen, schrieb bereits 1963 Architekturgeschich­te: Die modernistische Beinecke Rare Book & Manuscript Library in Yale wurde dazu mittels transluzenter Marmorfassade ausgestaltet, die indirekte Beleuchtung zulässt, den im zusätzlichen gläsernen Bücherturm aufbewahrten Bestand aber vor direktem Tageslicht und UV-Strahlung schützt. Die Bibliothek als Ort der Erhellung – dieses Bild inspiriert auch Chicagos Mansueto Library, eines der letzten Großbauprojekte Helmuth Jahns: Der 2021 verstorbene Vater der demokratischen Architektur wählte die Metapher einer 2.800 Quadratmeter großen elliptischen Glaskuppel. 

Offene Seiten für alle

Dahinter steht selbstverständlich mehr als lokales Prestige. Bibliotheken neu den­­ken. Das impliziert eine Bandbreite, die vor allem den Wandel vom Ort der Einsamkeit zur Stätte der Begegnung be­­­schreibt, die Funktion moderner ­Bibliotheken radikal neu interpretiert. Das durch übereinander gestapelte“ offene Räume charakterisierte niederländische Forum Groningen verpasste sich dazu das Rebranding kultureller Department Store“ und stuft Bücher neben Film- und Ausstellungssälen als Rohstoff für den eigentlichen Nutzen ein: nämlich soziale Auseinandersetzung und Debatte. Was Bibliotheksarchitekten in Groningen und aller Welt ebenfalls wissen: Ein guter Freund hat stets ein offenes Ohr. 

Beste Bibliotheken

Oodi (Helsinki), Architektur: ALA Architects 
oodihelsinki​.fi

Tianjin Binhai Library
(Tianjin/​China), Architektur: MVRDV
bhwhzx​.cn


Central Library (Calgary,) Architektur: Snohetta
calgarylibrary​.co

The Jooe and Rika Mansueto Library (Chicago), Architektur: Helmuth Jahn 
lib​.uchicago​.edu

Alexandria Library (Alexandria, Ägypten), Architektur: Snohetta 
alexlibraryva​.org

Qatar National Library (Doha), Architektur: OMA
qnl​.qa


Philologische Bibliothek (Berlin), Architektur: Norman Foster
fu​-berlin​.de

Forum Groningen (Niederlande), Architektur: NL Architects
forum​.nl


University of Aberdeen New Library (UK), Architektur: Hammer Lassen Architects
abdn​.ac​.uk

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03. August 2022 Architektur 2

Hui in der Hauptsache

Zeig mir dein Museum, und ich sag dir, wer du bist! Im globalen Wettbewerb der Städte und Regionen spielen Museumsbauten eine zentrale Rolle. Kein Wunder, dass die besten Architekten der Welt immer neue, innovative und mitunter spektakuläre Lösungen suchen.

Kisten schleppen, weiche Pinsel heben, das richtige Licht ist auch ganz wichtig. Und natürlich Dinge wie Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Strategien gegen Motten. Wie jeder komplexe Organismus haben auch Kunstmuseen ihre Geheimnisse und kleineren Leiden, und das hat nicht zuletzt mit verborgenen Abläufen jenseits der Museumssäle zu tun. Was ist wichtig bei der Lagerung? Wie funktioniert das eigentlich: Leihgabewerke auf Weltreise schicken? Wie viel Raum benötigt die Restaurierung, und was ist beim Ausheben selten gezeigter Kunststücke zu beachten? Um solche Fragen kreist der neue kleine, feine Architektur-Hingucker in Rotterdam. Denn das Architekturbüro MVRDV rückt mit dem Depot Boijmans Van Beuningen – Außenposten des zeitgenössischer Kunst gewidmeten Museums Van Beuningen – eine ganz besondere Thematik in den Mittelpunkt. Die Idee hinter dem verspiegelten, oben begrünten Kunstdepot: Von den 151.000 Objekten des Stammhauses kann kaum ein Zehntel gezeigt werden – ein Umstand, der für viele Museen der Welt gilt. Genau dieses Dilemma thematisiert das neue Depot. Werke werden hier im Behind the scenes“-Rahmen präsentiert, zugleich werden Formen der Aufbewahrung, des Aushebens und des Transports von Kunst visualisiert.

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18. Jänner 2021 Neu traum Getty Images 1186947965

Dream on

Die wahren Abenteuer spielen sich oft in der Nacht ab – und zwar in unseren Träumen. Psychotherapeutin und Traumexpertin Dr. Holzinger gibt Tipps, wie man die positive Kraft der Träume nutzt.


Dr. Brigitte Holzinger hat sich mit ihrem Institut für Bewusstseins- Traumforschung in Wien der wissenschaftlichen, therapeutischen, künstlerischen und spirituellen Erschließung des Traumes und des Träumens verschrieben. Anbei gibt die renommierte Psychotherapeutin fünf Tipps, wie jeder die Kraft seiner Träume nutzen kann.

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25. März 2024 Biennale 2 1

Best of 60 Jahre Biennale

Erregungsgenerator und Durchlauferhitzer: Wie die Biennale von Venedig, die älteste und wichtigste Kunstausstellung der Welt, sich immer wieder von Neuem erfindet.

Es war im Jahr 2001, als Papst Johannes Paul II. auf der Biennale von Venedig die ­Gemüter erregte – oder besser gesagt eine ­lebensgroße, täuschend echt modellierte Skulptur des damals amtierenden Papstes. Johannes Paul II. krümmte sich am Boden, niedergeschmettert von ­einem Meteoriten. In der Decke über ihm gähnte ein Loch, Glasscherben lagen um ihn verstreut. Kein Werk der 49. Internationalen Kunstausausstellung wurde annähernd so oft abgebildet wie das Kunstwerk des Italieners Maurizio Cattelan, kein ande­res erregte die Gemüter auf ähnliche Weise. Ohne dieses hyperrealistische Werk in einer ehemaligen Lagerhalle des Arsenale, des alten Kriegshafens von Venedig, hätte die alle zwei Jahre stattfindende Kunstausstellung wohl kaum 350.000 Besucher angezogen. Gute zehn Jahre vorher waren es nicht einmal ein Viertel so viele. 

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