Mit seinem neuen Hotel Maison Heler verbindet der französische Industrie-Designer und Architekt seine einzigartige Vision mit einer surrealen Geschichte, die seiner Fantasie entsprungen ist. Im Interview mit Signature spricht Starck über seinen unverkennbaren Stil, was gutes Design ausmacht und warum er nie telefoniert.
„Manfred Heler lebt als Waise im wunderschönen Anwesen seiner Familie, umgeben von einem weitläufigen Park. Um der Langeweile zu entkommen, beginnt er, alles Mögliche zu erfinden – angetrieben von einem naiven, aber unbeirrbaren Wunsch, bis ins kleinste Detail zu erschaffen. Eines Tages, in Tagträumen verloren, beginnt plötzlich die Erde zu beben. Als Manfred um sich blickt, stellt er entsetzt fest, dass er mitsamt seinem Park, seinem Haus und seinem Sessel in die Luft gehoben wird, bis er hoch über der Stadt schwebt, sein Haus wie herausgepresst – als hätte ein riesiger Ausstecher von unten die Erdkruste abgetrennt und senkrecht nach oben gehoben.“
Surrealer Realismus
Was wie ein Märchen von Roald Dahl klingt, ist die von Stararchitekt Philippe Starck erfundene Geschichte hinter seinem phantasmagorischen Hotel Maison Heler, das dieses Jahr im verträumten Metz im Nordosten Frankreichs eröffnet hat. Einhundertvier Zimmer und Suiten sind zwischen dem zweiten und achten Stock des neunstöckigen brutalistischen Monolithen untergebracht, auf dessen Dach die Belle-Epoque-Villa der fiktiven Familie Heler emporragt. Im Erdgeschoss findet sich das Restaurant La Cuisine de Rose, eine ganztägig geöffnete Brasserie und ein Geschenk an Manfreds große Liebe Rose, während das Haus am Dach, La Maison de Manfred, den Dining Room des Hotels beherbergt, wo man sich – umgeben von Buntglasfenstern – zum Abendessen trifft.
Ausgestattet sind die industriell gehaltenen Zimmer mit Elementen, die Manfreds erfinderischen Geist widerspiegeln. Wände und Decken aus Beton treffen auf warmes Holz, cremefarbene Baumwolle und cognacbraunes Leder, während die Bäder mit weißem Marmor verkleidet sind. „Ein beinahe spartanischer Geist“, erklärt Starck über das Design der Unterkünfte, „frei von jeder Oberflächlichkeit.“ Neugierige Augen werden allerhand Rätsel entdecken, die es zu lösen gibt. Die von Philippe Starck geschriebene Novelle La Vie minutieuse de Manfred Heler („Das sorgfältige Leben des Manfred Heler“) ist überall im Hotel zu finden und erzählt die Geschichte, auf der so gut wie jedes Detail des Hauses basiert.
Ein so akribisches Hotel anhand einer surrealen Geschichte zu bauen, die der eigenen Imagination entstammt, ist wahrlich kein leichtes Unterfangen, selbst für einen Architekten von Starcks Kaliber. Als selbsterklärter Träumer ist er jedoch genau der Richtige, um ein Projekt dieser Art umzusetzen.
Mehr Informationen: starck.com
Philippe Starck im exklusiven Gespräch mit Signature
Liegt neben Ihrem Bett ein Zeichenblock bereit, damit Sie nachts spontane Ideen festhalten können?
Philippe Starck: Immer – aber nicht nur dort. Wohin ich auch gehe, begleitet mich ein Zeichenblock, stets vom gleichen Typ, zusammen mit meinem bevorzugten Bleistift. Ich sprühe vor Ideen, aber mein Gedächtnis ist leider nicht besonders zuverlässig. Oft passiert es, dass mir ein Einfall kommt und er schon wenige Minuten später wieder verloren ist. Vermutlich sind mir auf diese Weise bereits viele gute Ideen entglitten. Ausserdem besitze ich weder einen Computer noch ein Mobiltelefon.
Und wenn Sie telefonieren möchten?
PS: Ich telefoniere nie. Das erledigt meine wunderbare Frau für mich.
Inwiefern sind tägliche Rituale für Sie wichtig, um gut arbeiten zu können?
PS: Für mich sind Rituale lebensnotwendig. Da ich sogenannt neurodivergent bin, was im Autismus-Spektrum liegt, brauchen Menschen wie ich festgelegte Abläufe. Schon das Aufwachen muss an einem lichtdurchfluteten Ort stattfinden – idealerweise mit schöner Aussicht. Ich starte langsam in den Tag: Meine Morgenroutine dauert eineinhalb Stunden und beinhaltet unter anderem eine heisse, gefolgt von einer eiskalten Dusche. Der Temperaturschock ist für mich unerlässlich, damit mein Gehirn zum Laufen kommt. Die verbesserte Durchblutung beschleunigt meine Denk- und Schaffensprozesse. In meinem Arbeitszimmer bringe ich meine Ideen zu Papier, immer allein und begleitet von der gleichen Musik. Ich arbeite hochfokussiert: drei Stunden am Vormittag, drei weitere am Nachmittag. Und natürlich gehört ein Glas Champagner am Ende meines Arbeitstags ebenso fest zu meinem Ritual.
Wie definieren Sie die folgenden Begriffe auf Ihre Person bezogen: Intuition, Geduld und Einsamkeit?
PS: Was die Intuition und die Visionen betrifft, so haben sich meine Einschätzungen in über 40 Jahren Berufserfahrung eigentlich immer bestätigt. Geduld hingegen zählt sicherlich nicht zu meinen grössten Stärken. Grundsätzlich bin ich ein ungeduldiger Mensch, doch ich kann sehr beharrlich und ausdauernd sein. Wenn ich etwas für richtig halte, dann lasse ich nicht locker und bleibe ich am Ball, bis ich mein Ziel erreiche. Egal, ob ich dafür ein Jahr, zehn oder vierzig Jahre brauche. Die Einsamkeit indes ist fester Bestandteil meiner inneren Struktur, fast schon Teil meiner DNA. Das ist zweifelsohne nicht immer leicht für meine Frau und mein Umfeld. Ich bin ein Träumer, und Träumer sind oft Einzelgänger. Meine Frau lebt daher gewissermassen mit einem Phantom zusammen. Trotz dieser Eigenheiten bin ich ein sehr ehrlicher Mensch mit einer ausgeprägten Fähigkeit zu lieben, ein Humanist und frei von jeglicher Habgier.
Was verstehen Sie unter gutem und schlechtem Design? Lässt sich überhaupt definieren, was gut oder schlecht ist?
PS: Für mich ist schlechtes Design ein Design, das keinen echten Mehrwert schafft, sondern ausschliesslich darauf abzielt, Geld zu verdienen. Es ist ein unehrlicher Handel: Ich erwecke das Interesse der Menschen, nehme ihr Geld und gebe ihnen im Grunde nichts zurück. Auch narzisstisches Design empfinde ich als schlecht. Wenn ich gestalte, um mich selbst zu inszenieren, um meine vermeintliche Genialität und Überlegenheit zur Schau zu stellen. Dadurch entsteht bei den Menschen ein Gefühl der Minderwertigkeit. Ein Gedanke, der mich eher beschämt. Ebenso problematisch ist für mich das «dumme Produkt»: ein Design, das nur deshalb entsteht, weil etwas gerade in Mode ist. Wenn ich etwa Trendfarben wie Rot, Blau oder Grün übernehme, ohne mich zu fragen, ob das Produkt physiologisch sinnvoll ist, ob es tatsächlich gebraucht wird oder ob es einfach eine Reaktion auf einen flüchtigen Trend darstellt. Gutes Design hingegen folgt keiner Mode. Es ist zeitlos und schafft echten, langfristigen Wert.
Gutes Design überdauert also Generationen?
PS: Unbedingt. Trendprodukte landen oft schon nach kurzer Zeit im Müll, was ein ökologisches Desaster zur Folge hat. Gutes Design geht einen anderen Weg. Es entsteht aus einer bestimmten Naivität, getragen von der Vision, die Zukunft und die wahren Bedürfnisse der Gesellschaft zu erkennen und zu verstehen. In der Umsetzung heisst das: Produkte schaffen, die das Leben der Menschen tatsächlich verbessern. Dabei geht es um höchste Sorgfalt in der Herstellung, einen möglichst sparsamen Umgang mit Energie und Materialien sowie die Verwendung nachhaltiger Rohstoffe. Und nicht zuletzt müssen diese Produkte zu einem erschwinglichen Preis produziert werden können. Wenn all diese Kriterien erfüllt sind, ist von einem ehrlichen Design zu sprechen.
Ihr Spektrum an Entwürfen ist mit einem Universum an Überraschungen vergleichbar. Haushaltsgegenstände, Boote, Uhren, Museen, Interior Design und vieles mehr. Sämtliche Entwürfe zeichnen sich durch Minimalismus aus, bestimmte Formen tauchen manchmal wieder auf, aber einen wirklichen Philippe-Starck-Stil sucht man vergeblich. Ist dies eine bewusste Entscheidung, um Ihrer Kreativität nicht ein bestimmtes Korsett aufzuerlegen und Ihnen die Freiheit zu lassen, bestimmte Regeln zu brechen?
PS: Eine ausgezeichnete Frage, doch ich würde nicht von Stil sprechen. Das würde bedeuten, dass ich mich selbst in ein festes Schema einschliesse – und zudem: Ein Stil ist leicht kopierbar. Mich treibt vielmehr die Logik an, und zwar eine persönliche Logik, die wohl auch mit meiner Verrücktheit zu tun hat. Daraus entstehen originelle Objekte, die für mich ganz selbstverständlich erscheinen, für andere jedoch ungewöhnlich wirken. Meine Denkweise basiert auf festen Parametern: absolute Freiheit, Unbestechlichkeit, eine möglichst umfassende Vision und eine tiefe Menschlichkeit. Alles eingebettet in Humor und Liebe. Denn Humor relativiert, sowohl die schwersten als auch die leichtesten Dinge des Lebens.
Es gibt Musikerinnen und Musiker, die sich hinsetzen und innerhalb weniger Minuten einen Hit schreiben. Erleben Sie es auch, dass der Entstehungsprozess eines Designs manchmal blitzschnell verläuft?
PS: Tatsächlich entstehen etwa 90 Prozent meiner Entwürfe innerhalb von zwei Sekunden. Da ich mich nicht als Künstler verstehe, lege ich grossen Wert darauf, jede Idee präzise zu zeichnen – egal ob es sich um eine Yacht, eine Raumstation, eine Zahnbürste oder einen Stuhl handelt. Für die Umsetzung in Zeichnungen brauche ich meist zwischen drei Minuten und zweieinhalb Stunden, je nachdem, wie komplex das Produkt ist. Danach lasse ich die Idee los, entweder weil ich sie vergesse oder weil sie mich zu langweilen beginnt. Und wenn ich mich langweile, ist alles zu Ende.
Sie haben schon verschiedene Male mit Kartell zusammengearbeitet. Wie ist die neuste Kollektion entstanden?
PS: Ich arbeite schon seit mehr als 20 Jahren mit Kartell zusammen, weil es das einzige Hightech-Designunternehmen ist, das mit umweltfreundlichen Hightech-Materialien arbeitet und damit hochinnovative Produkte von exzellenter Qualität zu fairen Preisen ermöglicht. Wenn eine neue Kollektion ansteht, habe ich völlige kreative Freiheit, ohne jegliche Vorgaben oder bestimmte Hinweise. Ich entwerfe, was mir richtig erscheint. Kartell entscheidet anschliessend, was daraus wird. Bisher ist es mir immer gelungen, sie zu überraschen.
Inzwischen arbeiten Sie auch mit künstlicher Intelligenz. Wie kam es dazu?
PS: Der A.I. Chair von Kartell war ein Meilenstein und das erste Produkt, das mithilfe von künstlicher Intelligenz entstand. Und das zu einer Zeit, als nur wenige überhaupt wenige überhaupt wussten, was KI ist. Vor rund zehn Jahren reiste ich nach Kalifornien, um zu lernen, wie man mit einer KI kommuniziert. Was zuvor zweieinhalb Jahre gedauert hat, passiert heute in Sekundenbruchteilen.
Ein Stuhl, kreiert in einem Augenblick. Der A.I. Chair ist der Prototyp einer neuen Produktgeneration. Einer, der die Zukunft vorwegnimmt. Im Gegensatz zu mir verfügt KI über eine nahezu unendliche Intelligenz. Die KI denkt radikal anders als wir: Sie strebt automatisch nach maximaler Reduktion von Material und Energie und bevorzugt ökologische Lösungen.
Wenn Sie einen Abend mit Persönlichkeiten verbringen könnten, die Sie bewundern – wer stünde auf Ihrer Liste?
PS: Ein Gespräch mit Albert Einstein wäre faszinierend. Ebenso spannend fände ich einen Austausch mit Claudius Ptolemäus, dem grossen griechischen Mathematiker, Astronomen und Philosophen. Und für eine inspirierende musikalische Note würde ich einen Ausnahme-Komponisten wie Brian Eno einladen.
Interview: Daniela Gampp
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