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Was steckt hinter dem Hype um Kryptokunst und NFT? Diese Frage spaltet seit der Versteigerung eines digitalen Kunstwerks um 58 Millionen Euro eine Branche, die von den ­technischen Entwicklungen regelrecht überrollt wurde.

Die Geschichte ist fast zu gut, um wahr zu sein: Als der zwölfjährige Benjamin A. dieses Frühjahr davon hörte, dass man mit digitaler Kunst richtig viel Geld machen könne, setzte er sich an den Computer und schuf seine eigenen kleinen digitalen Kunstwerke. Von Pfeife rauchenden Walen bis hin zu Delfinen mit Wikingerhelm entwarf er insgesamt 3.000 sogenannte Weird Whales“, also merkwürdige Wale. Und bot sie zum Verkauf an. 

Mit Erfolg. Allein an einem Tag nahm er mit seinen Pixelbildern umgerechnet 220.000 Euro ein. Oder genauer gesagt 80 Ether, eine im Internet gehandelte Kryptowährung. Wenn ich so weitermache“, sagte der holländische Teenager gegenüber dem Fernsehsender CNBC, kann ich vielleicht irgendwann so erfolgreich sein wie Jeff Bezos oder Elon Musk.“

Benjamin A.s Weird Whales“ sind schnell entworfene lustige Digitalfigu­ren, wie es sie im Internet seit dem ­Erfolg der KryptoPunks viele gibt und die sich alle einer Technologie bedienen, die den Kunstmarkt in den vergangenen Monaten ganz schön durcheinanderge­wirbelt hat: NFT, also Non-Fungible Token, gibt es zwar bereits seit Mitte der 2010er-Jahre, seit Anfang dieses Jahres ist der Markt mit ihnen aber ­regelrecht explodiert. Dank der Verknüpfung mit einem Blockchain-Verfahren bieten NFT die Möglichkeit eines wirkungsvollen Echtheitsnachweises. Wobei NFT selbst keine Kunst sind, sondern als digitale Datenpakete reines Werkzeug. Wie mit einem Fingerabdruck wird damit eine Datei als authentisches Unikat zertifiziert. Digitale Kunst, die beliebig vervielfältigt werden kann, für alle ­zugänglich ist und keinen physischen Lagerplatz braucht, wird so einem klaren Besitzer zugewiesen.

Blase für Doofe?

Damit eröffnet sich für digitale Kunst ein neuer Horizont“, sagt der Linzer Museumsleiter Alfred Weidinger, der sich bereits seit Jahren mit der neuen Technologie beschäftigt, für die ­andere Kunstkenner nur ein Naserümpfen übrig haben. Die Kunstbranche hat die Digitalisierung weitgehend verschlafen, jetzt wird ihr umso deutlicher vorgeführt, was in Zukunft möglich sein wird.“

Weidinger spielt mit seinen Worten auf ein Auktionsergebnis an, das im März dieses Jahres die Initialzündung für den Hype rund um NFT war. Für knapp 70 Millionen US-Dollar (rund 58 Millionen Euro) wurde die NFT-Collage Every­days: The First 5000 Days“ von Mike Winkelmann alias Beeple versteigert. Ein Künstler, von dem bis zu diesem Zeitpunkt kaum jemand gehört hatte und der in keinem Kunstranking verzeichnet war. Die Kunstwelt stand Kopf, bereits im Mai kamen dann bei Christie’s um 17 Millionen US-Dollar eine Reihe ­lustiger KryptoPunk-Pixelbilder zur Versteige­rung, die 2017 als eine der ersten Non-Fungible Token auf der Ethereum-Blockchain veröffentlicht wurden. Und das neben Werken von Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat. Mittlerweile gehören NFT-Versteigerungen bereits zum Kunstmarktalltag. 

Wie ist es allerdings um die Qualität der gehandelten Werke bestellt?

Derzeit ist unter den gehandelten NFT unglaublich viel Schrott dabei“, gibt Weidinger unumwunden zu. Der Leiter des Francisco Carolinum Linz plädiert dafür, die neuen Entwicklungen im digi­talen Feld nicht an herkömmlichen ästhetischen Kategorien zu messen: Wir verlieren ansonsten den Kontakt zu einer jüngeren Generation, die komplett anders denkt.“

Einen solchen Zugang zu NFT sehen viele im traditionellen Kunstbetrieb skeptisch, selbst wenn sie sich wie Hito Steyerl an der Spitze der Kunstavantgarde befinden. Die Kryptokunstwelt ist für die deutsche Medienkünstlerin nicht viel mehr als eine Blase für Doofe“. Hier werde eine Art Technologiezauber an Leichtgläubige verkauft. Der wichtige Kunstkritiker Jerry Salz reagierte auf den Megahype rund um NFT mit noch ­drastischeren Worten. Doch auch Salz erkennt in NFT ein großes Potenzial: NFT ist ein Werkzeug, ein Material, ein Medium. Irgendwann wird es einen Francis Bacon oder David Hockney der NFT geben.“ Davon ist man derzeit zwar noch weit entfernt, aber wahrscheinlich geht es zum jetzigen Zeitpunkt auch erst in zweiter Linie um ästhetische Kategorien, sind sich viele Betrachter einig. Viele der NFT-Bilder haben mehr mit der Gaming-Welt oder mit der Krypto-Kultur, die sich daraus entwickelt hat, zu tun – und weniger mit der traditionellen Kunstwelt mit ihren Gatekeepern wie Kunstkritikern, Galerien oder Museen.

Das Spannende an dieser Krypto-­Kultur ist, dass kulturelle Werte nicht mehr ab­hängig sein könnten von zen­tralen staatlichen oder durch viele ­private Gel­­der finanzierte Institutionen“, sagt der deutsche Kunstkritiker ­Kolja ­Reichert, der im Wagenbach Verlag gerade das Buch Krypto-Kunst“ vorgelegt hat: Wie haben uns die ­erste Schwemme der NFT-zertifizierten Kunst ange­schaut wie alte Kunst. Und ich glaube, das ist der falsche Blick.“ Reichert schlägt mit seinen Worten in dieselbe Kerbe wie Museumsleiter ­Weidinger, der Ausstellungen sowohl im analogen („Proof of Art“ diesen Sommer) wie im digitalen Raum (im Metaverse Crypto­voxel) kuratiert und sich auch selbst erst an die neuen ­Player im veränderten Kunstraum gewöhnen musste.

Krypto im Kollektiv

Einer von ihnen ist der Wiener ­Bernhard Nessler, der gemeinsam mit fünf anderen Künstlern hinter dem Krypto-Kollektiv VRON steckt, das seit 2018 die sogenannten KryptoWiener nach dem Vorbild der KryptoPunks schuf. Mit dem Hype rund um NFT änderte sich auch für sie ­vieles: 2018 haben sich vielleicht gerade ­einmal 100 Künstler für die Möglich­keiten der neuen Technologien inter­essiert und ihre Kunstwerke für zehn oder 20 US-Dollar pro Stück gehandelt.“ Mittlerweile habe sich aber Goldgräber­stimmung breitgemacht. Das sei gefährlich, den demokratisierten Zugang zum Kunstmarkt durch die NFT-Technologie sieht Nessler aber uneingeschränkt ­positiv: Mit der Blockchain-Technologie schließen wir Mittelsmänner aus“, sagt er, eine NFT-Plattform wie OpenSea nimmt nur 2,5 Prozent des Verkaufspreises.“ Zudem schneiden Kunstschaffende auch bei Wieder­verkäufen ihrer NFT-Werke zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal mit. 

Plattformen wie Nifty Gateway oder eben OpenSea sind Onlinemarktplätze, auf denen Animationen, Memes oder Kunstwerke zum Verkauf angeboten werden, oftmals komplett ungefiltert. Ein Prinzip, das auch langsam in den traditionellen Kunstmarkt durchsickert: So hat der Berliner Stargalerist ­Johann König sehr zum Missfallen vieler Galeristenkollegen die Onlineplattform Misa.art eröffnet, auf der man Kunst und NFT kaufen und verkaufen kann.

Der Kunstmarkt ist einer der konserva­tivsten Bereiche, den man sich vorstellen kann“, sagt König. Jede Verän­derung werde abgelehnt. Kaum verwunderlich, dass bei der Beurteilung der neuen technischen Möglichkeiten ein tiefer Riss durch die Branche geht. Während die einen ihr Augenmerk vor allem auf die problematischen Seiten der neuen Technologien legen – ihr unglaublicher Energieverbrauch, die dürftige Qualität der Kunstwerke –, sehen andere ein Potenzial, das zu einer Erweiterung und weniger einer Verdrängung von Kunst führen könnte. Für den zwölfjährigen Benjamin A. hat sich die digitale Kunst schon einmal ausgezahlt. Jetzt muss er seine leicht verdienten Ethers nur noch in eine klassische Währung tauschen. Aber dafür bräuchte er erst mal ein Bankkonto. 

FAKTISCH

NFT basieren auf derselben ‑Technologie wie ‑Kryptowährungen – der Blockchain. Im Vergleich etwa zu Bitcoin gibt es aber einen wichtigen Unterschied: Während Bitcoin untereinander austauschbar sind, gibt es NFT nur genau einmal, sie sind klar identifizierbar. Das ermöglicht es, mit NFT zu ‑handeln. Der digitalen künstlerischen Produktion hat das einen ungeheuren Schub verschafft und dafür gesorgt, dass NFT am Kunstmarkt neben Malerei, Skulptur, Fotografie und Video ‑gerückt sind. Auf einschlägigen Handelsplattformen wie Nifty Gateway oder OpenSea verkaufen und kaufen dagegen nicht traditionelle Kunstsammler, sondern die Fans der Künstler, die über soziale Medien groß geworden sind, sowie die Tech-Branche, die einen anderen, niederschwelligeren Zugang zu Kunst hat. Das stellt die Kunstbranche, die den neuen technischen Entwicklungen zumeist skeptisch gegenübersteht, vor ‑große ‑Herausforderungen.

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