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Verhaltensbiologe und Wolfsforscher Dr. Kurt Kotrschal im Talk über tierische Weisheit und menschliche Herausforderungen.

Dr. Kurt Kotrschal heult gern mit den Wölfen – ganz im Sinne der Wissenschaft. Sein Forschungsgegenstand ist gleichzeitig Beruf und Berufung: die Beziehung von Tier und Mensch. Der Verhaltensforscher und Biologe beobachtet das Verhalten von Wölfen, Hunden und Vögeln und nähert sich damit den großen Fragen der Menschheit: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir? Als Leiter der Konrad Lorenz Forschungsstelle erforschte er das menschliche Zusammenleben von Graugänsen und die erstaunliche Intelligenz der Rabenvögel. Mit der Gründung des Wolfforschungszentrums (WSC) in Ernstbrunn erfüllte er sich einen Lebenstraum und liefert eindeutige Beweise dafür, dass unsere vierbeinigen Lebensgenossen mehr mit uns gemein haben, als auf den ersten Blick zu erahnen ist. Nicht ohne Grund sind Wölfe und Hunde die ältesten Gefährten des Menschen – und das seit 35.000 Jahren. Warum ein Leben mit Hund gerade in Zeiten des technischen Fortschritts glücklich macht, er sich aktiv für die neue Initiative Pro Hund“ engagiert und wir uns bei Zukunftsthemen wie Klimawandel und Digitalisierung nicht auf die Evolution verlassen sollten, erklärt Dr. Kurt Kotrschal im Talk. 

Das Leben mit Hunden und Tieren hat einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft.” Dr. Kurt Kotrschal

Können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit einem Hund erinnern?
Bei mir ist der erste Hund mit unserem ersten Kind ins Haus gekommen. So ein bisschen nach dem Motto, das Kind für die Frau, der Welpe für den Mann. Damals, 1978, war ich fachlich noch nicht auf Hunde fokussiert. Es war aber auf jeden Fall eine sehr kluge Entscheidung. Hunde sind geniale Lebensbegleiter, und ich kann und will mir seitdem kein Leben ohne Hund vorstellen.

Was hat Ihre Faszination für das Thema Beziehung Mensch – Tier geprägt?
Es ist ja seit jeher ein ideologischer Streit zwischen der Geisteswissenschaft und der Biologie: ob der Mensch tabula rasa auf die Welt kommt oder wie weit er bereits von Geburt aus geprägt ist. Das ist ein sehr spannendes Feld, und im Rahmen meiner Forschung konnte ich immer wieder zeigen, dass der Mensch das Produkt der Evolution ist, dass er eine Millionen Jahre alte Stammesgeschichte hat und in vielen Bereichen eng mit Vögeln, Hunden und Wölfen verbunden ist. Sogar die Gehirnstrukturen ähneln sich, wie wir bereits mit unserer Arbeit an der Konrad Lorenz Forschungsstelle zeigen konnten. Als ich 1989 dort die Leitung übernahm, wurde meine Leidenschaft für die vergleichende Verhaltensforschung geweckt. Zuvor hatte ich wissenschaftlich hauptsächlich mit Fischen zutun. Umso interessanter war es für mich nun, mit Vögeln und Säugern zu arbeiten. Es ermöglichte mir viele Erkenntnisse. Der Mensch hat aufgrund der sozialen Evolution ja ein großes Gehirn, das rationales Handeln ermöglicht. Aber immer wieder kommen alte Antriebe dazwischen, die zu verschiedensten Konflikten führen. 

Diese Konflikte thematisieren Sie auch in Ihrem aktuellen Buch Mensch: Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen“. Welche sind die wesentlichsten?
Der Konflikt der Geschlechter etwa. Wir leben in patriarchalen Strukturen. Als Jäger und Sammler waren wir egalitär organisiert, als die Menschen aber begannen, sesshaft zu werden, wurde es auch immer wichtiger, sich vor Überfällen zu schützen. Und zur Verteidigung waren Männer aufgrund ihrer Physiologie besser geeignet. Und diese Struktur ist bis heute spürbar. Man denke nur an den immer wieder erklingenden Wunsch nach einem starken Mann“ an der Spitze oder an die vermehrten Fälle von sexualisierter Gewalt. Dagegen hilft nur eine kohäsive, liberale Demokratie mit absoluter Gleichstellung der Geschlechter. Als Biologe kann ich dazu sagen, dass Menschen viele universale Anlagen besitzen, natürlich sind diese je nach Person und Kontext spezifisch ausgeprägt. Aber es gibt Gesetzmäßigkeiten, die aus der Evolution kommen. Und nur mit demokratischen Strukturen und einer menschengerechten Politik können diese den Rahmen bilden für Werte, die Menschen brauchen – Zuwendung, Wirksamkeit und Anerkennung etwa.

Sie beschreiben den Menschen als irrationales Wesen – können Sie das etwas näher erläutern?
Der Mensch ist höchst sozial und kooperativ, und dennoch bereit zu töten. Außerdem gibt es die allzu menschliche Sucht nach Sinn und Überlegenheit. Das alles sind durchaus irrationale Komponenten.

Wesenszüge , die wir mit dem Wolf teilen?
Wölfe und Menschen sind sich sehr ähnlich, mehr als man auf den ersten Blick erahnt. Wölfe wie Menschen kooperieren gut innerhalb ihrer Klans auf der Jagd, bei der Fürsorge für ihren Nachwuchs, aber auch in teils blutigen Konkurrenzkämpfen mit den Nachbarn. Es dürfte auch kein Zufall sein, dass gerade Wölfe in vielfältiger Hundegestalt zum engsten Tierkumpanen der Menschen wurden. Hunde und Wölfe sind die ältesten Weggefährten der Menschen. Wir ähneln uns – im Denken, Fühlen und im sozialen Verhalten.

Wie darf man sich die konkrete Forschungsarbeit mit Wölfen am WSC vorstellen?
Wölfe sind von Natur aus scheu. Um ihr Verhalten optimal beobachten zu können, ziehen wir daher die Welpen etwa ab dem zehnten Tag nach ihrer Geburt – noch bevor sie die Augen öffnen – von Hand mit der Flasche auf. Viele meinten, das geht nicht. Doch im Gegenteil, es funktioniert wunderbar. Wir hatten bis jetzt auch noch keinen einzigen Unfall bei unserer Arbeit. Unsere Wölfe entwickeln auf diese Weise dieses Grundvertrauen, das ihnen später erlaubt, mit bekannten Menschen entspannt zusammenzuarbeiten. Und das ist auch für mich immer wieder ein wunderbares Erlebnis. Ich persönlich erlebe den Wolf als spannenden, verlässlichen und vor allem klugen Partner.

Wie können Wolf und Mensch koexistieren?
Wenn man so will, sind wir von Wölfen umzingelt. Allein in Italien leben 2.000. In Österreich gibt es rund 12 bis 14 frei lebende Wölfe, sprich: man wird um dieses Thema nicht herumkommen. Es geht um Bewusstseinsbildung und natürlich auch um die Entwicklung eines funktionierenden Herdenschutzes. Was auf keinen Fall die Lösung sein kann, ist, wenn Wildtiere gewildert werden – trotz europäischer und österreichischer Standards, die einfach nicht eingehalten werden. Fischotter, Biber, Wölfe … sie alle sind relevant für unser Ökosystem. Weltweit ist die Häufigkeit von Wildtieren im Schnitt um 60 Prozent zurückgegangen. Und 97 Prozent unserer Biomasse der Landwirbeltiere sind Nutztiere. Das ist ein Trend, der unbedingt gestoppt werden muss.

Wölfe und Menschen sind sich sehr ähnlich, mehr als man auf den ersten Blick erahnt.” Prof. Kurt Kotrschal

Gleichzeitig erfreut sich der Hund als Haustier großer Beliebtheit. Wie erklären Sie sich das?
Zu Recht gilt der Hund als bester Freund des Menschen. Trotz aller technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ist die Sehnsucht nach einer intensiven Beziehung zu einem Hund ungebrochen. Allein in Österreich leben mindestens 700.000 Hunde – Tendenz steigend. Aus gutem Grund: Kinder, die mit Hunden aufwachsen, profitieren massiv in ihrer körperlichen, emotionalen und sozialen Entwicklung, Hundehalter sind glücklicher, gesünder und emotional stabiler. Hunde schützen uns vor Altersdepression und Vereinsamung. Hunde teilen unsere Grundemotionen und begleiten uns bereits seit über 35.000 Jahren als Wesensgefährten. Für Hunde ist das größte Glück ihre Beziehung zum Halter. Und die gilt es zu stärken.

Welche Rolle spielt dabei die öffentliche Bewusstseinsbildung – Initiativen wie etwa Pro-Hund, die Sie aktiv unterstützen?
Die Beziehung der Gesellschaft, die es als solche nicht gibt, zu Tieren ist für mich immer der beste Gradmesser dafür, wie es um eine Gesellschaft bestellt ist. Hunde sind für das soziale Klima in der Gesellschaft wichtig. Dieses zu verbessern hat sich die Initiative Pro-Hund vorgenommen, die ich gern unterstütze. Hier wird erstmals in Österreich mit einer Stimme für das Miteinander von Mensch und Hund gesprochen – gegen unsinnige Gesetze, für einen fachlich fundierten Umgang mit Hund und Mensch. Schließlich erfüllt ein hundefreundlich gestalteter Lebensraum gleichzeitig auch die Bedürfnisse von Kindern. Hunderassenlisten und fragwürdige Vorschriften tragen dazu nichts bei. Gefragt sind ein einheitliches Hundehaltegesetz und eine Gesellschaft, die ein Recht auf das Leben mit Tieren und Hunden bietet. 

Wir sind mit großen gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontiert – von Klimawandel bis Digitalisierung. Kann uns hier die Evolution helfen?
Evolution funktioniert über differentielle Fortpflanzung. Das heißt, die biologische Evolution wird uns weder beim Klimawandel noch beim Bewältigen der Digitalisierung oder im Kampf gegen einen Atomkrieg etwas bringen. Gefragt ist ein ökologisches und soziales Umdenken, das ist unsere einzige Chance. Auch genetische Experimente – wie etwa die Genschere – werden uns nicht retten. Man weiß nicht, welche Auswirkungen genetische Veränderungen dauerhaft haben – noch wie oder von wem sie genutzt werden. Wir müssen uns also mit den Ressourcen, die wir haben, den aktuellen Problemen stellen. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Kurt Kotrschal ist Professor i. R. an der Universität Wien, er wurde zum Österreichischen Wissenschaftler des Jahres 2010 gewählt und ist Autor von über 200 Arbeiten, Artikeln und Büchern. Sein aktuelles Mensch: Woher wir kommen, wer wir sind, wohin wir gehen“ ist im Brandstätter Verlag erschienen. Der Vater zweier Kinder lebt mit seiner Frau und zwei Eurasier-Hunden im Salzkammergut. www​.wolfscience​.at

Nähere Informationen zur Initiative Pro-Hund unter: pro​-hund​.at

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