Seine Filme sind 90-minütige Fluchten, Eskapismus in Technicolor. Warum 2024 das Jahr des US-Regisseurs Wes Anderson ist und was seine Signature-Ästhetik ausmacht: ein Intro.
Ein bisschen weiter nach hinten lehnen. Nein, stopp, zu weit. Ja, jetzt, genau so bleiben! Filmemacher Wes Anderson ist – wie vermutlich die meisten seiner Kollegen – Perfektionist. Aber Anderson ist anders. Manche nennen es magischen Realismus, andere Formalismus, aber eigentlich reicht „Wes Anderson“ als Genrebezeichnung.
Wes Anderson erobert TikTok
2024 hat der Texaner, den man immer nur im Maßanzug zu sehen bekommt, endlich einen Oscar bekommen – paradoxerweise für einen für Netflix produzierten Kurzfilm („Ich sehe was, was du nicht siehst“). Und bereits letztes Jahr gewann er TikTok für sich – ohne selbst daran beteiligt zu sein. Myriaden von Influencern posteten Videos in seinem Stil. Die Reels zeigten an und für sich stinknormale Bilderabfolgen – wie Zugfahrten oder Mensch auf Schaukel –, aber eben in schön. Überquellende Farben, lange Kameraeinstellungen, „Dead Pan“-Mimik (sprich: keine Gefühlsregungen), Retro- und Symmetrie-Liebe. Keine Sprache, nur Instrumental-Musik – aus Andersons Film „The French Dispatch“. Der TikTok-Hype mag wieder abgeflaut sein, aber die Begeisterung für Anderson ist geblieben – und hält sich.
Fiktiver Museumsführer: The Museum of Wes Anderson
Gleich zwei neue Bücher erscheinen in diesem Herbst, plus eine Ausstellung in Australien und ab 2025 eine Retrospektive im Design Museum in London. Das schaffen – so geballt – wohl die wenigsten Regisseure. Doch warum jetzt, warum erst jetzt, immerhin macht Anderson seit den 1990er-Jahren Filme – zu Beginn gemeinsam mit Kommilitone Owen Wilson? Camille Mathieu und Johan Chiaramonte, die Autoren von „The Museum of Wes Anderson“ (Prestel Verlag), sprechen im Vorwort zu ihrem „Museum in Buchform“ von „Nostalgie der Kindheit, Unschuld, Flucht vor der Erwachsenenwelt, die gefährlich und unvorhersehbar ist“. An dieser Stelle bietet sich der „In Zeiten wie diesen“-Satz an, aber jeder weiß, was gemeint ist.
Große Stars in stilisierten Filmen
Für Film- und Popkulturjournalist Chiaramonte sind Andersons Filme „Inseln der Eleganz“. Es wäre aber falsch, ihn als reinen „Stylisten“ zu betrachten, ist Co-Autorin Camille Mathieu überzeugt. Anderson stellt stets kluge Fragen zum Sinn des Lebens, behandelt Themen wie Trauer oder Tod, aber ironisch pointiert, vermeintlich distanziert. Diese Emotionssubtilität ist eine große Kunst, die Schauspielerriege rings um Tilda Swinton, Bill Murray und Ralph Fiennes beherrscht sie aus dem Effeff. Seine Charaktere wirken oft wie aus dem Kuriositätenkabinett, und doch beruhen sie, wie Anderson nicht nur einmal bemerkte, allesamt auf existierenden Menschen. All seine Figuren könnten problemlos zwischen den einzelnen Filmen hin und her wechseln – oder sich am besten auf einem klapprigen Rad ins Bild schnaufen.
Märchen für Erwachsene
Die Nostalgie, die bei Anderson die Leinwand durchtränkt, wirkt nicht schwer – und das ist das eigentlich Faszinierende daran. Es sind Märchen für Erwachsene, manche – wie „Ich sehe was, was du nicht siehst“ – erinnern an Pop-up-Bücher, wie man sie aus dem Kinderbuchregal kennt. So ziemlich jede Filmsequenz könnte man auf Standbild setzen, printen und an die Wand hängen. Anderson ist ein Komponist der Bilder, der einst Architekt werden wollte – auch das spürt man in seinem Schaffen. Die Kulissen: wie Bühnenbilder. Die Dramaturgie: theateresk. Da mutet eines der bekanntesten Zitate des Strippenziehers fast amüsant an: „Ich würde nicht sagen, dass ich mich besonders für Details interessiere oder davon besessen bin.“ Nun ja, die einen sagen so, die anderen so.
Das Wes Anderson Universum
Wer sich definitiv für jede Feinheit interessiert: die Autoren, die als Museumskuratoren auftreten. Sei es die kirschrote Haarspange von Margot Tenenbaum (aka Gwyneth Paltrow), der Duft des Concierge (Ralph Fiennes) aus „The Grand Budapest Hotel“ oder ein Stapel aus Fake-Büchern als Referenz für Andersons Verehrung von Roald Dahl und J. D. Salinger. Es sind Artefakte des Arthouse, Devotionalien für Die-Hard-Fans. Gerade die Kleidung spielt bei Anderson eine tragende Rolle, für die Charaktere gilt: Man ist, was man trägt. Vom Bowling-Hemd bis zum Blümchen-Bademantel – selbst die „Vogue“ analysierte rauf und runter. Für jeden seiner Filme kreiert der Charismatiker ein eigenes Universum – mehr vom Selben, wie Kritiker monieren. Wie der Regisseur darauf reagiere, wurde er einst in einer Fernseh-Doku gefragt: „Es ist eben das, was ich mag.“
Bucketlist-Buch: Accidentally Wes Anderson Adventures
Mit „Accidentally Wes Anderson Adventures“ ist diesen Herbst noch ein zweites Buch im Sinne von erschienen. Das US-amerikanische Paar Wally und Ellen Koval bringt damit seinen höchst erfolgreichen Instagram-Feed zu Papier – schon zum zweiten Mal. Knapp zwei Millionen Follower haben sich hier seit 2017 angesammelt. 1,9 Millionen Menschen, die sich an bunten Quadraten von Plätzen aus der ganzen Welt erfreuen, Orte, die ein bisschen wie aussehen. Ein bisschen wie aus einem Anderson-Film. „Einer unserer ersten Abenteuer hat uns 2018 nach Wien verschlagen“, lacht Wally Koval auf Nachfrage. Das Schloss Schönbrunn – in einer selten gezeigten Innenansicht – darf dann auch das Kapitel über Zentral- und Mitteleuropa eröffnen. Ebenfalls aus Österreich vertreten: der Bahnhof Stams und die Großglockner-Hochalpenstraße.
Filmreife Orte
Im Gegensatz zum fiktiven Museumsführer aus dem Prestel-Verlag ist „Accidentally Wes Anderson“ eine Art Bucketlist, ein Reiseführer zu skurril-schönen Zuckerlorten. Der Namensgeber hat sogar ein Vorwort gespendet. Von all den im Buch präsentierten Orten habe er bisher nur einen mit eigenen Augen gesehen: einen Schirmladen in London. Vielleicht kommt er hier ja 2025 wieder vorbei – zur Vernissage von „Wes Anderson: The Exhibition“ im Design Museum. Wes wegen werden wir da sein!
Wes Anderson: The Exhibition
Im November 2025 eröffnet das Design Museum in London eine umfassende Ausstellung, die einen tiefen Einblick in die faszinierende Welt von Wes Anderson bietet. Fans können sich auf eine Reise durch das filmische Werk des Regisseurs freuen, von seinen frühen, experimentellen Kurzfilmen bis hin zu seinen neuesten, oscarprämierten Meisterwerken. Die Ausstellung verspricht, nicht nur die Handlung und die Charaktere zu beleuchten, sondern auch die detailverliebte Gestaltung der Sets, die präzise Kameraführung und die einzigartige Farbpalette, die Andersons Filme so unverwechselbar machen.
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