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Mit der Ausstellung Catwalk: The Art of the Fashion Show“ inszeniert das Vitra Design Museum die Modenschau als Gesamtkunstwerk – vom Couture-Salon bis ins Metaverse. Zum Opening in Weil am Rhein war Signature vor Ort und hat sich mit Kurator Jochen Eisenbrand durch 100 Jahre Runway-Geschichte führen lassen.

Basel SBB, der Himmel ist unentschlossen. Während das Taxi Richtung Vitra Campus düst, ziehen Regentropfen Streifen über die Glasscheiben und lassen das Stadtbild verschwimmen. Es ist mein erster Besuch in Weil am Rhein – und ich bin schneller am Ziel, als gedacht. Das VitraHaus von Herzog & de Meuron ist eingerüstet, die Silhouette trotzdem unverkennbar. Zwischen Bauwerken von Zaha Hadid, Tadao Ando und – seit Kurzem – Balkrishna Doshi führt mein Weg zum weiß strahlenden Faltwerk von Frank Gehry. Wenige Minuten später begrüßt mich Jochen Eisenbrand – und wir tauchen ein in Catwalk“ im Vitra Design Museum.

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Vitra Design Museum: Helmut Fricke / VG Bild-Kunst Bonn, 2025 ©

Der Catwalk als Gesamtkunstwerk

Eine Modenschau ist wie ein doppelter Espresso: kurz, konzentriert, elektrisierend – und doch hallt ihr Nachgeschmack oft weltweit nach. Catwalk“ rückt dieses flüchtige Ritual ins Licht und zeigt, wie Architektur, Szenografie, Choreografie, Licht, Sound und Requisiten sich zu einem einzigen, atmenden Erzählraum verweben. Vier Kapitel führen – sauber kuratiert und filmisch montiert – durch ein Jahrhundert Laufsteggeschichte, jede Epoche mit eigener Tiefe, eigenem Puls.

Mit an Bord: V&A Dundee als Partner, Louis Vuitton als Hauptpartner, arte als Medienpartner. Auf der Bühne des Making-of: die Kuratoren Jochen Eisenbrand und Katharina Krawczyk (VDM) sowie Kirsty Hassard und Svetlana Panova (V&A). Die räumliche Handschrift stammt von Ania Martchenko, das visuelle Timing von Haller Brun. Das Ergebnis ist keine bloße Rückschau, sondern eine Inszenierung darüber, wie Inszenierungen entstehen – ein Runway über den Runway.

Wir folgen diesem roten Faden nicht nur inhaltlich, sondern auch räumlich: Vom Erdgeschoss bis hinauf unter das helle Dach durchwandern wir die Epochen wie Szenen eines langen, aufsteigenden Laufstegs. Die Architektur führt uns subtil – über leichte Verschwenkungen, wechselnde Raumhöhen und präzise gesetzte Durchgänge, die den Rhythmus bestimmen. Was unten zart und intim beginnt, öffnet sich mit jedem Stockwerk weiter, wird lauter, bunter, schneller. So verdichtet sich das Gefühl einer Zeitreise: Jeder Raum ist eine neue Dekade, jede Treppenstufe ein Schritt ins Nächste. Bis wir schließlich ganz oben im Heute landen – digital, hybrid, politisch – und spüren, dass die Modenschau immer mehr ist als Mode allein: ein Spiegel ihrer Zeit.

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Vitra Design Museum: Helmut Fricke / VG Bild-Kunst Bonn, 2025 ©
Wenn Mode Bühne wird: Historische Defilés wie dieses führen vor Augen, warum der Laufsteg mehr ist als Stoff – er ist Spiegel, Statement und Spektakel zugleich.

Vom Salon auf die Straße

Zu Beginn der Ausstellung ist alles noch recht statisch, in Schwarz, Weiß und Grau getaucht – wir stehen an den frühen Anfängen des Laufstegs. Charles Frederick Worth wagt damals das scheinbar Unaussprechliche und lässt seine Entwürfe nicht länger an Puppen, sondern an echten Frauen vorführen – ein kleiner Skandal, ein großer Fortschritt. Lucil eund Paul Poiret erzählen Mode als Geschichte und Szene. Gabrielle Chanel lenkt den Blick über eine verspiegelte Treppe, die das Publikum in sein eigenes Staunen zurückwirft – und die Schöpferin selbst im Verborgenen hält.

Schon früh verlassen die Schauen ihre geschützten Salons, huschen durch Kaufhäuser, über Pferderennen und Ozeandampfer und entdecken dabei einen Hauch von Fernweh – die zarten Wurzeln der späteren Cruise Collections“. Der vielleicht berührendste Moment: das Théâtre de la Mode von 1945, ein poetisches Lebenszeichen der französischen Couture nach dem Krieg, feingliedrig inszeniert mit Drahtpuppen aus dem Balenciaga-Archiv, begleitet von Schwarz-Weiß-Filmfragmenten früher Balenciaga-Schauen.

Eine Treppe höher wird der Ton rauer, die Stadt lauter. In der Ära von Prêt-à-Porter zieht die Mode hinaus auf die Straße, in Cafés und Clubs, hinein in den Körper des Urbanen. Chloé zeigt 1958 im Café de Flore; Courrèges und Paco Rabanne experimentieren mit Material und Bewegung; Kenzo verwandelt seine Shows in Partys. 1973 platzt dann der Stern: Die Battle of Versailles wird zur popkulturellen Zäsur, in der amerikanische Designer und schwarze Models selbstbewusst die französische Modegeschichte neu verhandeln. In den 1990ern schließlich schieben Naomi, Linda, Cindy & Co. das Bild der Frau in ein neues Licht – Superstar, Stil-Ikone, Powerfrau –, zu George Michaels Freedom“bei Versace (F/W 1991/92). Ungleichgewicht und Glanz liegen eng nebeneinander, ironisch gebrochen von William Kleins Film Who Are You, Polly Maggoo?, der dem Mythos Mode einen Spiegel vorhält.

Spektakel und Statement

Mit dem nächsten Raum kippt die Stimmung ins Spektakuläre – je später die Jahrzehnte, desto größer die Geste. Karl Lagerfeld verwandelt das Grand Palais in einen Supermarkt, lässt Raketen starten und Demonstrationszüge durch Hallen schieben. Die Ausstellung zeigt originale Requisiten und Architekturmodelle der legendären Chanel-Supermarktshow (H/W 2014/15) und der Raketen-Show (H/W 2017/18) und vermittelt plastisch, wie stark Architektur hier Bühne, Kulisse und Kommentar zugleich ist.

Im Kontrast dazu arbeitet Alexander McQueen mit der Brutalität der Maschine: In No.13“ (F/S 1999) besprühen zwei Industrieroboter ein weißes Kleid – ein Moment zwischen Zerstörung und Geburt. Viktor & Rolf stapeln Kleidung wie Identitäten, Schicht um Schicht, während Martin Margiela seine Schauen auf Parkplätze und Brachflächen verlegt, Orte des Dazwischen und Orte des Widerstands. Originale Objekte erzählen leise weiter: eine melting-ice Necklace mit Farbspuren (F/S 2006), ein Teppich voller Fußabdrücke (F/S 1989) – Spuren von Körpern, die Mode getragen haben, nicht umgekehrt.

Ganz oben schließlich landen wir dort, wo die Gegenwart pulsiert: hybrid, digital, politisch. Die Pandemie hat als unsichtbare Regisseurin neue Formate beschleunigt. Dior antwortet mit einem filmischen Puppenhaus („The Dior Myth“, H/W 2020), Loewe schickt seine Show in a Box“ (F/S 2021) in die Wohnzimmer, Balenciaga kollaboriert mit den Simpsons (F/S 2022) und verschiebt Grenzen zwischen Mode, Meme und Metaverse. Issey Miyake inszeniert Erwin Wurms One Minute Sculptures (F/S 2025), Dior bat Sharon Eyal zum Tanz (F/S 2019). Der Laufsteg wird politischer Körper: Rick Owens lässt Frauen andere Frauen tragen (F/S 2016), Gucci interpretiert Donna Haraways Cyborg-Manifest (H/W 2018/19), Balenciagas Parliament Show“ (F/S 2020) spielt mit Gesichtsprothesen.

Parallel dazu arbeitet Spazio META – ein Mailänder Studio für zirkuläre Szenografie – mit wiederverwendeten Bühnenelementen und kommentiert so leise den Ressourcenhunger der Branche. OMA/AMO und Prada definieren seit über 25 Jahren Architektur als Runway-Dramaturgie. Virgil Ablohs Skyline-Jacke für Louis Vuitton formt den Körper zur Stadtlandschaft.

Let’s keep it real

Und dann stehe ich plötzlich wieder draußen. Das Tageslicht ist fast grell nach all den Räumen voller Geschichte, Projektion und Projektionismus. Die Sonne hat Regen und Wolken vertrieben, als hätte sie sich erst sammeln müssen, um jetzt umso entschiedener zu strahlen. Ich schlendere über den Vitra Campus, vorbei an Architektur-Ikonen, während mir all die Eindrücke noch durch den Kopf tanzen: goldene Federn von Schiaparelli, die eher einer Skulptur als einer Einladung gleichen; schwergewichtige Schlüssel von Balenciaga, die Zugang zu einer digitalen Modenschau versprechen – Botschaften, die kaum noch auf Papier passen, weil Mode längst im Raum stattfindet, im Kopf, im Diskurs.

Und während ich darüber nachdenke, wie verrückt es ist, dass etwas so Alltägliches wie Kleidung zugleich Performance, politische Haltung und begehrenswertes Spektakel sein kann, begreife ich, was die Ausstellung zwischen den Zeilen flüstert: Trotz Livestream und Social-Media-Tsunami bleibt eine Erkenntnis: Der Mythos entsteht dort, wo Menschen zusammenkommen. Dort, wo Blicke kreuzen, Sound vibriert, Stoffe im Licht fließen – und sich Mode für einen flüchtigen Moment größer anfühlt als der Bildschirm, auf dem sie sonst stattfindet.

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Vitra Design Museum: Andreas Sütterlin/Paris Musées – Palais Galliera musée de la Mode de Paris ©
Inszenierte Einladungen, reale Begegnung: Der Mythos Mode entsteht dort, wo Menschen sich live gegenüberstehen.

Catwalk: The Art of the Fashion Show

Eine Ausstellung des Vitra Design Museums und V&A Dundee

Wann: 18. Oktober 202515. Februar 2026
Wo: Vitra Design Museum, Weil am Rhein in Deutschland
Partner: Louis Vuitton

Weitere Infos: design​-museum​.de


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