Süßer kann Kunst nicht sein. Von Sterne-Desserts, Kuchen-Skulpturen und Schokolade-Tigern. Zu Besuch bei den besten Patisserie-Artisten.
Was wäre ein Trend, ohne einen Gegentrend? Während Social Media mit Fitness-Content geflutet wird und bewusster Genuss zum ungeschriebenen Gesetz unter Gourmets wird, kommt man gleichzeitig an Bildern knallbunter Tortenskulpturen, komplizierter Schokoladengebilde und filigraner Desserts nicht vorbei. Einfach nur eine launige Erscheinung – mal opulent, mal hauchzart? Nicht ganz, was hier gezeigt wird, ist oft große Kunst, und die liegt gerade stark im Trend. „Aktuell bemüht sich jeder, gesund zu essen. Aber natürlich ist dann gerade das, was vermeintlich ungesund ist, besonders interessant. Und wird besonders spektakulär inszeniert“, bringt es der Berliner Sternekoch René Frank auf den Punkt.
Als Gründer des ersten Dessert-Restaurants Deutschlands liefert er den Beweis, dass Süßes längst in der kulinarischen Topliga angekommen ist – ohne schwer im Magen zu liegen. In 15 Gängen serviert er Fine Dining mit lässigem Chic und Zwei-Sterne-Geschmack. Mit hochwertigen saisonalen Produkten, die auf natürliche Süßkraft vertrauen. Den Begriff Kunst interpretiert Frank somit ganz natürlich, wenn es um sein tägliches Tun geht (siehe Talk). Schließlich ist in seiner Küche nichts künstlich. Das Ergebnis am Teller präsentiert sich jedoch höchst kunstvoll. Wie man so viel Geschmack so schön auf einen kleinen Teller bringen kann, fasziniert immer wieder aufs Neue.
Zucker-Zirkus
Kein Wunder also, dass Präzision gefragt ist, wenn Sweet Artists Geschmack und Optik unter einen Hut oder – besser gesagt – groß rausbringen. Ganz nach dem Motto „Höher, schneller, weiter“ wird etwa im Barton G. in Miami kulinarisch im gigantischen Stil gefeiert. Ice Cream Cake um 200 Dollar gefällig? Dafür ragt das Ding dann auch über einen Meter in die Höhe.
Jedes Dessert ist Entertainment pur. Da gehen zuckrige Dollarscheine direkt am Tisch in Flammen auf, bevor sie geschmolzen auf den Teller kommen – vor den ‑Augen der begeisterten Gäste. Die dann nicht nur fleißig Fotos für ihre Social-Media-Kanäle machen, sondern vor allem auch genießen.
Ganz neu ist dieser Trend freilich nicht. Die K. u. K. Hofzuckerbäckerei Demel am Wiener Kohlmarkt weiß schon seit 1786 um die Wirkung von süßen Kunstwerken. Dort drücken sich seit Beginn Touristen und Spaziergänger die Nase platt, wenn sie die neuesten Skulpturen in der Auslage bewundern wollen. Ein ähnliches Bild bietet sich vor den Schaufenstern der Gerstner K. u. K. Hofzuckerbäckerei in Wien.
Die Wirkung süßer Kunstwerke war bereits zu K.u.K Zeiten bekannt.
Schnell wird klar, wie viele Stunden voller Konzentration allein in der Fertigung der luftig leichten Figuren aus Zucker und Co. stecken. Bis das letzte Detail gemalt wird, ist ein ganzes Team von Händen gefragt. Die Profis bleiben cool, trotz oft hitziger Temperaturen in der Backstube. Das Ergebnis: ein Augenschmaus, der allerdings oft auch den Augen vorbehalten bleibt. Für den Verzehr sind diese Kunstwerke meist nicht gedacht, dafür gibt es die beeindruckende Kuchentheke, die an Opulenz dem modernen kaiserlichen Interieur um nichts nachsteht.
Ice, Ice, Baby
Auf besondere Feiertage muss man bei Jordi Roca nicht warten, um Großartiges zu genießen. Mit seinen Brüdern betreibt er das weltbekannte Restaurant El Celler de Can Roca in Girona und revolutionierte wie nebenbei die Vorstellungen über Patisserie. Er sprudelt förmlich über vor Ideen, die er mithilfe von Eiscreme und Desserts kreativ in Form bringt. „From bean to bar“ lautet das Erfolgsrezept seiner eigenen Schokoladenmarke, die seine Kreationen aufblühen lässt – gern auch in Form süßer Rosen.
Zuckerglasur, so filigran wie Glasbläserei? Duftaromen, die man schmeckt? Jordi Roca eröffnet ein neuartiges Geschmacksuniversum – und mit Rocambolesc einen Eis- und Süßwarenladen, der schon beim Betreten einfach nur Freude macht. Für alle, die gerade nicht in Spanien vorbeischauen können, empfiehlt sich ein Blick in sein Werk „Anarkia“. Mit Rezepten von gegrillten Steinpilzen in einer Zuckerkugel bis Tonkabohnen-Vanille-Fruchtgummis lassen sich Gäste bestimmt beeindrucken.
Kulinarischer Rock ’n’ Roll
Dass Haute Couture nicht nur etwas für die Laufstege in Paris und New York ist, beweist Cheffe Pâtissière Magdalena Liehr mit Stil. Statt Models schickt die geborene Schwarzwälderin Desserts auf den kulinarischen Laufsteg, die direkt einem Gemälde entsprungen sein könnten. So prächtig und geschmackvoll komponiert selten jemand.
Nach Kochlehre und Confiseur-Ausbildung überzeugte sie im Schweizer Grand Hotel Les Trois Rois, bis sie sich mit ihrem eigenen Atelier in Basel einen Traum erfüllte. Nichts für schwache (Geschmacks-)Nerven ist Dominique Persoone, seines Zeichens 2023 von Gault Millau als „Best Chocolatier of the year“ gekürt. Er selbst bezeichnet sich lieber als „Shock-o-latier“, der mit Perfektion und Rock-’n’-Roll-Feeling wahre Avantgarde aus Schokolade formt. Vom Kleid bis zum Lippenstift.
Schokoladen-Schule
Ganz wie beim Dessert kommt auch hier das Beste zum Schluss. Besser gesagt, die beste Nachricht: All das kann auch gelernt werden! Und zwar von ‑einem der Besten, ganz bequem von der Couch aus. Der Französisch-Schweizer Top-Patissier Amaury Guichon zaubert auf Netflix und live wahre Kunstwerke aus Schokolade.
Top-Patissier Amaury Guichon feiert auf Netflix und in Las Vegas süße Erfolge.
Vom lebensechten Tiger bis zum Hydranten – es gibt nichts, was er nicht in Form bringt. Und sympathischerweise danach auch vor Publikum verspeist. Wer gerade keinen Platz in seiner Pastry Academy in Las Vegas ergattert hat, dem sei sein Buch „Art of Flavor“ ans Herz gelegt. Garantiert eine höchst geschmackvolle Angelegenheit – und völlig kalorienfrei.
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