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Hygge im Hoffice: Wir sprachen mit Zukunftsforscherin Oona Horx-Strathern über bewusstes Wohnen in Zeiten der Pandemie.

Shared Spaces, Hoffice, Conscious Kitchen … wir sind aktuell mit Entwicklungen konfrontiert, die wir so oder zumindest in diesem Ausmaß nicht erwartet hätten. Eine fast zweijährige Ausnahmesituation sorgte für Veränderungen, die ein Umdenken in der Arbeit ebenso wie im eigenen Zuhause erforderten. Grund zur Sorge gibt es nach Oona Horx-Strathern aber eher nicht. Ganz im Gegenteil sieht die Exper­tin bei einem richtigen Umgang mit der Situation sogar gute Chancen für einen positiven Wandel. 

Corona hat dafür gesorgt, dass wir zu unserem Zuhause einen neuen Zugang gefunden haben. Wird sich diese Aufwertung der eigenen vier Wände auch in Zukunft weiterhin halten?

Unsere größte Herausforderung wird eine dauerhafte Integration der Arbeit in unsere eigenen vier Wände sein. Wie Professor Jan Teunen in Officina H­uma­­­na“ schreibt: Wenn das Home­office funktioniert und eine liebevolle Atmosphäre herrscht, wird ein New-Work-Problem gelöst. Denn in der aktuellen Bürowelt erkennt man deutlich eine Krise, die durch die Dominanz wirtschaftlicher Rationalität ausgelöst wurde und zu psychischen Erkrankungen und einem Mangel an Menschlichkeit führt.“ 

Jedenfalls ist unser Zuhause ­manchmal wie eine Tante, die man eigentlich ­immer schon anrufen wollte, aber man lässt es doch sein, weil man weiß, dass sie kompliziert ist und jammern wird. Wenn man abends von der Arbeit nach Hause kam und die Wände, den Teppich, die Möbel registrierte, dachte man: Eigentlich müsste ich mal etwas verändern. Aber man ließ es, weil es zu anstrengend erschien. Das änderte die Krise radikal: Nachdem die Menschen fast nur noch zu Hause waren, begannen sie, sich auf eine neue Weise mit ihrer häuslichen Umgebung auseinanderzusetzen – und zu identifizieren. Wir wohnen bewusster, und das wird noch eine Weile halten, vielleicht sogar für immer. 

Seit der ­Pandemie nehmen wir ­unsere häusliche ­Umgebung anders wahr. Wir wohnen bewusster.“ Oona Horx

Die Technik ist dabei ein entscheidender Faktor. Sie ermöglicht es uns, auch für längere Zeit das Haus nicht verlassen zu müssen? 

Wir werden in Zukunft mit Sicherheit mehr Zeit zu Hause verbringen. Viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern hybride Arbeitsmodelle, die unterschiedlich aussehen können. Zwei bis drei Tage von zu Hause aus arbeiten, zwei bis drei Tage im Office vor Ort oder auch die ganze Woche am heimischen PC. Nach so viel Zeit im Homeoffice beginnen viele Menschen die mentalen und physischen Vorteile zu schätzen, die man bekommt, wenn man nicht mehr täglich pendeln muss. Kochen ist das neue Pendeln“, könnte man sagen.

Wir können die Technik zu Hause aufrüsten, eine Zoom-Ecke aufbauen usw. Das ist aber nur die eine Seite. Abgesehen davon haben wir nämlich gemerkt, dass es weniger das Smart Home“ war, das uns gefehlt hat, sondern eher der soziale Kontakt. 

Technik ist nur ein Tool. Wichtiger ist die soziale Technik, und die Krise hat uns gezwungen, unsere soziale Umgebung neu zu definieren, zu überdenken und zu bewerten. Balkone und ­„Shared Spaces“, in denen wir bestimmte Dienst­leistungen auch im Lockdown in Anspruch nehmen konnten, waren wichtiger als eine App, die uns abends automatisch die Vorhänge zumacht. Technologie ist nicht so sehr das Pro­blem, die Herausforderung ist, eine gute Arbeitsatmosphäre zu generieren, mit flexibleren Grundrissen und multifunktionalen oder modularen Möbeln. 

Hat dieser Trend auch eine negative Seite? Wird er für Isolation sorgen?
Wir lernen doch mehr und mehr über die positiven Seiten des Hoffice“, während wir unser Leben auf eine realistische Lebens-Arbeits-Integration einstellen, anstatt von einer perfekten Balance“ zu träumen, in der wir dann doch immer nur zwischen Arbeits- und Wohnort hin und her rennen. Das Positive im Negativen ist auch, dass Einsamkeit in der Krise ein deutliches Thema geworden ist, vorher war dieses Phänomen versteckt. Wir haben es nun einmal mit einer sehr individualistischen Gesellschaft zu tun – in den großen Städten zählt man bis zu 50 Prozent Single-Haushalte, also Menschen, die im Grunde allein leben. Das ist schon seit ­Langem ein Problem, und die Krise hat uns das natürlich noch einmal sehr deutlich ins Bewusstsein gerufen. Und genau hierin liegt auch eine Chance: Endlich wird das Thema offen angesprochen. In den Städten gewinnen Nachbarschaften an Bedeu­tung, wir spüren den Wunsch nach mehr Gemeinsamkeit im unmittelbaren Wohnumfeld, die Sehnsucht nach einem neuen Heimatbegriff im urbanen ­Umfeld. Vertical Village nennen wir diesen Trend. Das wird einen großen Einfluss darauf haben, wie wir in Zukunft Häuser bauen und wohnen. Wenn wir es richtig machen, kann uns die Krise ­dabei helfen, Lösungen zu finden.

Oona Horx-Strathern blickt gemeinsam mit ihrem Mann Matthias Horx in die Zukunft.

Wenn Sie an die schnellen Entwicklungen rund um Haus und Eigenheim denken – von der KI bis zum Smart Home: Was wird die wahrscheinlich wichtigste Innovation sein, die das Potenzial hat, unser Leben nachhaltig zu beeinflussen?

Nehmen wir ein Beispiel aus dem ­Küchenbereich, wo die Menschen heute eine Menge investieren. Die Küche ist mehr im Fokus, sie ist ein echtes Fami­lienmitglied geworden, wenn man so will. Ich nenne diesen Trend die Bewusste Küche“ – Conscious Kitchen. Sie ist heute mehr das ­Energiezentrum, das Herz des Hauses. Küchen sind funktionaler, aber auch mit mehr nachhalti­gen Materialien gebaut ­– und mehr Food-Stauraum. Es geht jetzt wirklich um das Essen und das Gefühl statt um Versorgung“, Status oder die Frage, was für tolle Geräte man besitzt. Ich glaube, dass wir uns gerade von einem übertriebenen Technikglauben verabschieden. Intelligentes Wohnen ist etwas anderes als smartes Wohnen. Künstliche Intelligenz und die Idee des automatischen Haushalts sind oft Prothesen, die uns mehr voneinander separieren, als uns zu verbinden. Psychologen gehen inzwischen davon aus, dass innovative Geräte wie Alexa eher zu einem Abflachen, einer Disruption unserer sozialen Kommunikation führen. Sie stören unsere Lebensbalance durch ständige Ablenkung und Aufmerksamkeitsforderung. Wir nennen dieses Phänomen Technoferenz“, eine Interferenz des Zwischenmenschlichen. Human-Intelligentes Wohnen hingegen macht uns Hygge“ – nicht nur in ­einem ästhetischen Sinn, sondern auch im Sozialen. Es stärkt das Kostbarste, das wir haben, den Gemeinsinn.

Vielen Dank für das Gespräch!

Persönlich

Oona Horx-Strathern ist seit über 25 Jahren Trend- und Zukunfts-forscherin, als Autorin und Beraterin tätig sowie auf internationalen Bühnen eine gefragte Wohn-expertin. Horx-Strathern versteht sich dabei selbst als eine Erforscherin des Neuen, aber vor allem des Besseren. Es geht ihr um einen frischen (weiblichen) Optimismus hinsichtlich unserer Wohn- und Lebensräume der Zukunft. Das Ziel von Oona Horx-Strathern ist es, neue Perspektiven 
aufzuzeigen und Menschen zum Handeln zu befähigen. 
strathern​.eu