Onlineshopping und Videokonferenz waren gestern. Wer in Zukunft sein Leben digital bestreiten möchte, macht das mithilfe eines Avatars, eines digitalen Ich. Die passende Parallelwelt dafür steht schon in den Startlöchern.
Spätestens seit dem Blockbuster „Avatar“ von James Cameron aus dem Jahr 2009 ist der Begriff keine leere Worthülse mehr. Der Streifen hat es geschafft, auch außerhalb der Nerd Bubble eine größere Personengruppe für die digitale Welt zu begeistern. Ein Mensch, der in die Haut eines Außerirdischen schlüpfen und diese Hülle mittels Gedankenübertragung steuern kann – das ist ein revolutionärer Gedanke. Wenn Sie sich nun bereits als Alien durch den digitalen Äther fliegen sehen, muss ich Ihre Euphorie aber leider noch etwas bremsen. Aktuell werden außerirdische Avatare gerade im Millionen-Dollar-Bereich gehandelt. Aber beginnen wir am Anfang.
Eine sehr eigene Welt
Bevor wir in andere Körper schlüpfen können, müssen wir uns zunächst von unserer digitalen 2‑D-Welt verabschieden. Zweidimensionale Kamerabildraster sind besser als Telefonate ohne Bild, ein 3‑D-Raum ist aber nochmals eine andere Kategorie. Große IT-Konzerne sind also bemüht, die Technik alltagstauglich zu machen. Darunter finden sich Namen wie Microsoft oder Facebook, die die Welt in eine virtuelle Kulisse verwandeln möchten – natürlich nur im übertragenen Sinn. Konkret geht es um das „Metaverse“, einen Ort, an dem die physische mit der virtuellen Realität verschmelzen wird. Die Vision stammt von Mark Zuckerberg, CEO von Facebook, der als neuen Firmennamen nicht ohne Grund „Meta“ gewählt hat und zudem davon ausgeht, dass dieses digitale Universum bereits in drei Jahren seine Pforten öffnen wird. Einen ersten Versuch, die Menschen in ein virtuelles Leben zu entführen, gab es schon Anfang des 21. Jahrhunderts mit „2nd life“. Hier eröffneten Unternehmen ihre Büros, man konnte shoppen gehen und Bands gaben virtuelle Konzerte. Die Zeit war aber offenbar noch nicht reif für eine solche Idee. Nach einem anfänglichen Hype ist das Projekt wieder eingeschlafen, „Metaverse“ aber soll für immer bleiben. Was steckt also hinter dem futuristischen Universum, und was haben Avatare damit zu tun?
In virtuellen 3‑D-Welten lässt sich bald echtes Geld verdienen.
Eintritt nur für Brillenträger
„Metaverse“ ist eine Virtual- und Augmented-Reality-Welt, in der in ‑Zukunft gearbeitet, gelernt, gespielt und konsumiert werden soll. Und zwar nicht wie wir es heute gewohnt sind auf banalen Internetseiten, sondern in einem virtuellen digitalen Raum, in dem wir uns freibewegen und interagieren können. Voraussetzung dafür ist natürlich technisches Equipment, das aktuell noch kaum jemand zu Hause hat: eine Virtual-Reality-Brille und Bewegungshandschuhe. Das heißt, Zuckerbergs neue Welt muss einen tollen Anreiz bieten, wenn sich die breite Masse auf die Pilgerreise ins „Metaverse“ machen soll. Und hier kommen die Unternehmen ins Spiel. Schon jetzt mit dabei sind Marken wie Nike und Adidas, aber auch Luxuslabels wie Louis Vuitton und Gucci sind an Bord. Wen wundert es, wenn jeder halbwegs kultivierte Avatar auch entsprechende Accessoires benötigt, will er sich prestigeträchtig durch das Meta-Universum bewegen. Analysten von Morgan Stanley haben prophezeit, dass virtuelle 3‑D-Welten der Modebranche bis 2030 bis zu 50 Milliarden US-Dollar Mehreinnahmen bescheren werden. Schon heute werden digitale Modeartikel um ein Vielfaches ihres ursprünglichen Werts gehandelt. Es gibt dank des Trends Non-Fungible Token (NFT) einen wahren Boom bei virtueller Mode und Kunst. Diese Token versehen die virtuellen Produkte mit einer digitalen Signatur – so sind sie auch im Netz einzigartig und können gehandelt werden. Wie bei Bitcoin und Co. funktionieren NFT auf einer Blockchain, die diesen Handel möglich macht. Und das bringt uns zurück zum eingangs erwähnten Alien-Avatar. Experten spre-chen davon, dass so ausgefallene digitale Figuren nicht unter einer Million US-Dollar zu haben sind. Wer jetzt schon die Euros zählt, muss vorerst aber noch in die Welt der Kryptowährungen eintauchen. Aktuell lassen sich die meisten NFT nur mit dem Ethereum-Coin bezahlen. Tja, die digitale Welt hat eben ihre eigenen Spielregeln.
Aber auch die reale Welt spielt mit eigenen Karten. Und so toll die Vision einer 3‑D-Welt auch sein mag, nicht alle Menschen werden sich darüber freuen, dass sie nur mit verkabelten Handschuhen und einer klobigen Brille am Kopf betreten werden kann. Da geht der verwöhnte User dann doch lieber persönlich in die Läden und erspart sich die stundenlange Verwendung dieser technischen Geräte mit leider noch bescheidener Auflösung. 5G verspricht durch höhere Geschwindigkeit hier natürlich wieder mehr Möglichkeiten aber auch das ist noch Zukunftsmusik. Aktuell ist die Nachfrage nach Virtual Reality jedenfalls bescheiden. Abhilfe könnte Augmented Reality schaffen. Der Unterschied liegt darin, dass der Anwender anders als bei einer VR-Brille seine Umwelt nach wie vor wahrnehmen kann. Diese „erweiterte“ Realität ist jedoch noch aufwendiger. Konkretes Beispiel: Es ist möglich, Gegenstände in einen Raum zu projizieren – oder auch auf den eigenen Körper. L’Oréal bietet beispielsweise mit seinem Try-On-Tool eine solche Möglichkeit. Es handelt sich um einen virtuellen Spiegel, mit dem der Kunde z. B. Lippenstift, Lidschatten oder Haarfarben digital auftragen und aus allen Blickwinkeln ansehen kann.
Hauptsache Ich
Die Zeiten, da wir uns unsere digitalen Alter Egos im Cartoon-Style selbst zusammenbasteln mussten, werden in Zukunft also Vergangenheit sein. Die Avatare werden ein Abbild von uns selbst sein, ein digitaler Zwilling, der durch Millionen von Daten erstellt wurde. Aktuell sind derartige ‑Projekte mühsam und kostspielig. Facebook zum Beispiel gönnt sich ein Aufnahme-studio namens „Sociopticon“ mit 180 Kameras, die 180 Gigabyte Daten pro Sekunde produzieren. Für Otto Normalverbraucher sind solche Spielereien utopisch. Bei Microsoft arbeitet man daher daran, Avatare auch per Webcam animieren zu können. In der Schmiede von Bill Gates ist man schon so weit, dass Prototypen sogar mit Raumklang getestet werden. Wer also in einer 3‑D-Avatar-Besprechung sitzt, hat nicht nur das Gefühl, räumlich vor Ort zu sein, sondern hört den Ton außerdem aus der Richtung des Avatars, der gerade spricht. Das Unternehmen T‑Systems bäckt ein bisschen kleinere Brötchen als die IT-Riesen Facebook und Microsoft. Dafür steht ihr Projekt schon auf festen Beinen. Das Münchner Innovation Center wurde von ihnen digital nachgebaut, und 400 Avatare von Mitarbeitern wurden erstellt. Die Kunden und Besucher können anhand eines Fotos oder eines Körperscans ebenfalls in digitale Abbilder verwandelt werden. Mittels VR-Brille können alle Teilnehmer dann ihre virtuellen Egos durch die Hallen schicken, können interagieren, diskutieren und ihre Bewegungen in Echtzeit übertragen. Nach dem offiziellen Treffen der Avatare geht es dann zum geselligen After-Work-Plausch – auf einer virtuellen Insel samt Weinverkostung. Die edlen Tropfen wurden vorab an die Teilnehmer per Post zugesandt – was für ein gechilltes Firmenevent!
Völkerball und Fangen spielen
Im Internet lässt sich viel Geld verdienen und mindestens ebenso viel vernichten. „Metaverse“ wird diese Tendenzen noch erhöhen. Auf der einen Seite werden findige Geschäftsleute ihre Avatare aussenden, um anderen digitalen und kauflustigen Personen Häuser, Grundstücke oder Zubehörartikel für Avatare zu verkaufen. Digitale Spielcasinos werden um Kundschaft buhlen, virtuelle Shops werden eröffnen. Sie alle werden dank der Avatare fast wie im echten Leben zu besuchen sein. Die sogenannten Early Adopters sind bereits identifiziert. Nike entwickelte mit der Spieleplattform Roblox das Nikeland. Hier können Minispiele wie Völkerball oder Fangen gespielt und Produkte des ‑Labels gewonnen werden. Adidas möchte dem nicht nachstehen. In Peking steht schon heute der „Home Court“, in dem sich an einer interaktiven Theke digitalisierte Schuhe in 3‑D ansehen lassen, in einem Shop in Dubai findet sich ein spezieller Spiegel, der die probierten Artikel erkennt und entsprechende Infos dazu einblendet. Das ist allerdings nur der Anfang. Der erste Adidas-Sportschuh steht schon in der „Metaverse“-Tür. Das Unternehmen macht gemeinsame Sache mit NFT-Spezialisten und Krypto-Influencern, die die Marke in der digitalen Welt von Beginn an ganz nach oben pushen sollen. Dass dieser Trend auch in der breiten Masse ankommt, zeigt H&M. Der schwedische Konzern scheint Trendsetter der ersten Stunde sein zu wollen. In Planung ist schon jetzt eine digitale Umkleidekabine, die einen Scan vom Kunden macht. Der so erstellte Avatar kann dann im Shop oder auch zu Hause zur Anprobe genutzt werden – kein An- und Ausziehen, kein Stress. Der Tragekomfort bleibt aber freilich auf der Strecke.
Traumprinz Avatar
Sie wollen das neue Kleid oder das Hemd zuerst fühlen, bevor Sie dafür bezahlen? Das ist verständlich. Meta alias Facebook arbeitet daher an einer Roboterhaut, mit deren Hilfe Nutzer Dinge im Internet fühlen können. Das soll über aufblasbare Gummipolster funktionieren, die durch ein Steuerungssystem Druck und Widerstand an den Händen spürbar machen. Und sogar schmecken können soll man die Dinge im Internet. „Electronic Lollipops“ heißt das Wunderwerk, das aus Elektroden besteht, die im Mund verschiedene Geschmackserlebnisse auslösen. An der Universität in Singapur steht bereits ein solcher Prototyp – im Moment sind es noch vier Geschmacksrichtungen, die simuliert werden können, beim Start von Metaverse werden es wohl mehr sein. Dann steht auch dem romantischen Dinner in einer Hilton Rooftop Bar nichts mehr im Wege – voraus-gesetzt, das Unternehmen kauft bei Metaverse ein. Wer also die Schnäppchen bei seinem Metaverse-Einkaufsbummel unter die Leute bringen möchte, versucht einfach abends noch ein virtuelles Date zu bekommen. Auch das ist möglich und laut einer Umfrage von Parship auch gar nicht so absurd. 41 Prozent der Männer stehen einem Kennenlernen durch Avatare aufgeschlossen gegenüber, und auch 27 Prozent der Frauen würden sich über ein Pläuschchen mit einem virtuellen Traumprinzen freuen – bleibt nur zu hoffen, dass er sich außerhalb des virtuellen Universums nicht in einen Frosch verwandelt.
VR – Die Technik hinter dem Trend
Die VR-Brille trickst unser Gehirn aus, um die Fiktion einer räumlichen Umgebung zu erschaffen. In diesen Geräten verstecken sich nämlich gleich zwei Displays, quasi für jedes Auge eines – wobei das Bild für jedes Auge perspektivisch leicht verschoben ist. So werden zwei Bilder an das Gehirn weitergeleitet und die Vision eines dreidimensionalen Eindrucks erweckt. Hinzu kommt eine spezielle Linse, die dafür sorgt, dass wir das Bild, das eigentlich viel zu nah ist, um es scharf wahrzunehmen, auch erkennen können. Damit wir uns in diesem virtuellen Raum auch bewegen können, verfügen die Brillen über Gyroskopsensoren, die die Bewegungen unseres Kopfes messen und dafür sorgen, dass sich das Bild entsprechend ändert. Und was braucht es für derartige KI-Erlebnisse? Eine enorme Rechenleistung, die Meta mit dem neuen Supercomputer „Al Research Supercluster“ bis 2022 bieten will – dem schnellsten seiner Art.

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